Christian Morgenstern

Christian Morgenstern schuf die Galgenlieder und kleine Gedichte mit großem Sprachwitz, also ignorierte man sein ernstes Schaffen: Er wurde rasch in seine Schublade gesteckt. Nach einer Krise hatte der Dichter 1906 eine Erleuchtung, und 1914 starb er schon, 42 Jahre alt. Viele kluge Sätze hat er geschrieben; wir drucken ein paar davon ab. Heute spricht er weitgehend über die Liebe, morgen über Gott.

Wie’s immer so ist: ein Karton am Straßenrand mit Büchern. Ich drehte um und schaute nach und entnahm dem Karton ein Mini-Buch, 15 auf 10 Zentimeter groß. Es hieß Worte des Lächelns. Ich habe ein paar ausgesucht, es könnten auch andere sein; man könnte willkürlich einige wählen, und wir hätten immer eine gute Dosis von Morgenstern, dem Mystiker und Denker. Er hatte eine ererbte Leberkrankheit. Zu seinem Glück erlebte er den Beginn des Ersten Weltkriegs nicht mit; doch die Schatten, die dieser bereits warf, bemerkte er. In seinen letzten Lebensjahren war er eng mit Rudolf Steiner befreundet, und neben dessen Grab in Dornach bei Basel ist auch er begraben.

Hinein!

Sollte in immer höherer Erkenntnis und Liebe (in immer höheren Formen) nicht die Möglichkeit immer höheren Glücks liegen?

In (manchen) Erzählungen von Liebe sehe ich immer nur eines: die Liebe als Selbstpreis. Selten oder nie, dass Menschen durch ihre Liebe zueinander wachsen wollen, dass sie sich über sich hinaus lieben. Daher denn auch die Übersättigung, ja der Ekel, der einen vor derlei erfasst, ein Verlangen, es möchte doch auch hier endlich eine neue Optik greifen, eine tiefe, religiösere Betrachtung des Liebeslebens.

Es gibt auch eine größere Liebe als die nach dem Besitz des geliebten Gegenstandes sich sehnende: Die, die geliebte Seele erlösen zu wollende. Und diese Liebe ist so göttlich schön, dass es nichts Schöneres auf Erden gibt.

Es gibt nur einen Fortschritt, nämlich den in der Liebe; aber er führt in die Seligkeit Gottes selber hinein.

Ich meine, es müsste einmal ein sehr großer Schmerz über die Menschen kommen, wenn sie erkennen, dass sie sich nicht geliebt haben, wie sie sich hätten lieben können.

Der Nenner, auf den heute alles gebracht wird, ist Egoismus, noch nicht – Liebe.

Unsere Kulturen sind noch vorwiegend egoistisch, darum ist auch so wenig Segen in ihnen.

Was uns allen zumeist fehlt, ist das tiefe, dauernde Bewusstsein des wirklichen Elends auf Erden, sonst würden wir über den Gefühlen einerseits des Mitleids, andrerseits des Dankes ganz der kleinlichen Misere des eigenen Lebens vergessen.

Ein Volk würde ein anderes Bild bieten, wenn es wirklich ein Volk, eine einzige große Familie wäre. In einer Familie fühlt sich jedes Mitglied für das andere verantwortlich.

Da (die Staaten) nur Lehrer für 600 Mark sich leisten können, bleiben die Völker so dumm, dass sie sich Kriege für 60 Milliarden leisten müssen.

Euer Kriegführen, Ihr Menschen, ist nicht mehr und nicht weniger als – Selbstmord.

Der Fundamentalsatz einer neuen Ethik: Die beste Sühne für eine schlechte Handlung ist eine gute Handlung, ist noch nicht wirkend geworden. Unser Strafen ist noch vorwiegend Negation. Eine Menschheit, deren richterliche Weisheit beim Schafott oder lebenslänglichen Kerker endet, hat es in meinen Augen noch nicht weiter gebracht als hin zu Weisheit der Polizei, d. h. des Schutzes, der Verteidigung, aber noch nicht der Zucht, der produktiven Korrektur.

Habe das Leben bis in seine unscheinbarsten Äußerungen hinab lieb und ihr werdet bis in eure unscheinbarsten Bewegungen hinab unbewusst von ihm zeugen.

Morgen: Morgenstern über Gott

 

 

 

 

 

 

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