Leben im Manicomio
Da gestern Florian Langegger erwähnt wurde, der so klug über das Verrücktsein schreibt, kann ich endlich den Monolog eines Psychiaters vorstellen, der seit langem hier im Wartestand liegt. Er ist aud dem Buch Il cacciatore ricoperto di campanelli von Giuseppe Lo Presti. Der kleine Roman war 1990 in Italien ein Überraschungserfolg. Aldo Busi, der Kritiker, entdeckte den Autor. Lo Presti wurde am 20. Januar 1958 geboren (ein Jahr jünger als ich!), starb aber schon 1995, 37 Jahre alt. Er schloss sich früh der radikalen Rechten an und war an diversen Attentaten beteiligt, was ihm 12 Jahre Gefängnis eintrug. (Wie in Deutschland waren die Jahre von 1977 bis 1987 dunkle Jahre mit Anschlägen von Terroristen, bei denen Hunderte Menschen starben.) Busi fand den Text außergewöhnlich gut, äußerte sich aber abfällig über den Autor. Das Buch über den Jäger wurde zum Kultbuch. Irgendwo ist der Titel erläutert: Ein mit Glocken behängter Jäger wird natürlich nicht besonders erfolgreich sein, weil man ihn von weitem hört.
Das Buch ist halb biografisch. Der Erzähler ist ein Außenseiter und Rebell, und mehrmals wird er in die Psychiatrie eingewiesen. Sein Lieblingsfeind ist Doktor »A«, den er am Ende auch zum Tod verurteilt. Zur Ausführung des Urteils kommt es nicht; man bringt ihn wieder hinter Klinikmauern. Der Arzt wirft dem jungen Mann vor, er kämpfe gegen eine Schimäre und verspiele sich seine Freiheit. Ich übersetze:
»Das Wort Freiheit, Doktor, hat für mich nicht dieselbe Bedeutung wie für Sie. Glauben Sie, dass ich nicht weiß, auf welche Sache ich mich eingelassen habe?«
»Gut!« sagte er. »Gut! Ich beschreibe Ihnen also das Leben im Irrenhaus. Keine bestimmte Behandlung, das ist nicht vorgesehen. Die Verrückten, die Dementen, die Zurückgebliebenen verbleiben in überwachter Freiheit in der Einrichtung. Diejenigen, bei denen man antisoziale Handlungen befürchtet – zu denen gehören Sie –, werden in die Zellen eingeschlossen. Sie sind sozusagen sich selber überlassen. Von Zeit zu Zeit werden sie Studenten vorgeführt. Sie sind definitiv aus der Welt der Lebenden entfernt. Sie haben aufgehört, zur menschlichen Spezies zu zählen. Verwechseln Sie das nicht mit der Routine im Gefängnis, lieber Freund: Dort bleibt allenfalls noch Hoffnung. Hier nicht! Es ist schlicht und einfach eine Amputation. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass wir vorsichtig sein müssen. Für die Abweichler gibt es kein Zeugnis guter Führung. Sie sind, um einen militärischen Ausdruck zu verwenden, definitiv nicht wiedereingliederungsfähig. Ein Affe im Zoo hat mehr sozialen Wert als sie … Da wir nicht wissen, was in jenen Gehirnen vor sich geht, begraben wir sie lebend. Es ist das Mindeste, was wir tun können. Diejenigen, die nur desorientiert sind, werden völlig verrückt. Kein normaler Geist erträgt diese Behandlung. Der Verfall geht um so rascher vor sich, je kultivierter der Mensch zu Beginn war. Bei Ihnen würden da ein paar Monate ausreichen.«
»Aufhören, Doktor, Schluss!« schrie ich. »Seien sie still.«
Die Ausführungen des Psychiaters beschreiben auch das Vorgehen von Unrechtsregimes. In Konzentrations-, Umerziehungs- und Straf-Lagern versuchte man, die Persönlichkeit der Inhaftierten zu brechen. Einzelhaft zermürbte sie, die Behandlung war unmenschlich, weil die Mächtigen und deren ausführenden Organe sie nicht als Menschen sehen wollten. Mit der Entmenschlichung und Dämonisierung beginnt der Weg in den Terror. Wer anders denkt, wird ausgelöscht. Es ist ein dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte; doch es ist noch nicht zu Ende.

