Der Autobus und John Garang

Endlose Tage am Point Zero ist ein traumhafter Titel, und das Buch von Stella Gaitano über das Leben im Südsudan ist eine Sammlung herber, kleiner Geschichten von armen Leuten und dem Bedrängnis, das Politik und Machtspiele auslösen. Es sind kleine, prägnante Geschichten, die man nicht vergisst. Frau Gaitano lebt heute in Deutschland.
Der Geruch harter Arbeit erzählt von einem alten Autobus, einem alten Fahrer und den Insassen des Busses, die nach einem Tag harter Arbeit sich in der Nacht hinauskarren lassen in ihre Einöden, denen kaum eine Laterne Licht gibt. Der kleine Abbakar hat in einer Autowerkstatt gearbeitet, Hajja Amna verkaufte allerlei aus ihrem Palmkorb, Natfuni fertigt Halsketten und Armreifen, der kleine Tiyya trällert Lieder, und dann gibt es noch Samira, den Bauarbeiter Danyal sowie die beiden Einzelgänger Ramadan, den alle Effendi nennen, und Derwisch. Ein Junge namens Rambo kassiert das Fahrgeld.

Da erinnert uns die Autorin an ein Ereignis:

An jedem unglückseligen Tag aber erfuhren sie vom Tod jenes Mannes, der ihre Revolution angeführt und in den Wäldern jahrzehntelang für ihre Träume und Hoffnungen gekämpft hatte. Durch John Garang hätte das Land der Gerechtigkeit, von dem der Effendi immer sprach, womöglich Wirklichkeit werden können. All diese Hoffnungen waren nun zusammen mit dessen Helikopter an den Bergen zerschellt.

Unter Garang, der am 30. Juli 2005 starb, hätte man vielleicht die Einheit des Sudans wahren können. Vielleicht hatten ja Männer aus Khartum bei dem Unglück ihre Hand im Spiel? Nun gibt es keine Ruhe, seit 2 Jahren herrscht Bürgerkrieg, 12 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Der Krieg.

In einer kleinen Erzählung des Bandes hat es Stella Gaitano geschafft, die Absurdität, dass Halbwüchsige ihresgleichen niederschießen, ähnlich absurd beschrieben. Hurra, ich bin tot! heißt der Beitrag. Der Erzähler liegt tatsächlich tot in einem Leichenhaufen. Danach setzt eine Bewusstseinsspaltung oder eine Verdoppelung ein: Er sieht sich als Feldkommandantem, als jungen Soldaten.

Ich sehe noch, wie ich die Waffe erbarmungslos auf mich selbst richtete. Mein anderes Ich hatte sich hinter einer Uniform verschanzt und besaß ein MG samt Patronengurt quer über der Brust. Ich blickte ihm tief in die Augen und hoffte, er würde mich erkennen. Vor lauter Angst um mein Leben fragte ich mit blödem, unterwürfigen Lächeln: »Erkennst du mich nicht? Ich bin es. Ich bin du!« Noch bevor ich diese unbeholfenen Sätze ganz ausgesprochen hatte, durchsiebte mein Ich mich kaltblütig mit Kugeln und jubelte. Ja, wirklich! Ich ermordete mich selbst und frohlockte dazu!

Er ermordet seinen Bruder, bestiehlt seinen Vater, vergewaltigt seine Schwester und bringt sich selbst um und feiert. Im Ersten Weltkrieg lagen sie in den Gräben, und junge Franzosen erschossen junge Deutsche und umgekehrt (vielleicht war der Franzose mit einer Deutschen und der Deutsche mit einer Französin verheiratet), das ist Krieg, das ist das Widersinnige. Unsere TestpilotInnen kehren stets mit dem Wissen zurück, dass unsere Egos  Ilusion sind. Wir sind alle eine Familie, wir gehören zusammen. Wer sich liebt, wird niemand anderem schaden; wer andere tötet, ermordet seine eigene Seele, ermordet sozusagen sich selbst.

Irgendwann wird man darüber nicht mehr reden müssen und Kriege als wahnwitzioge Produkte einer irregeleiteten Spezies betrachten.

(aus: Endlose Tage am Point Zero, Stella Gaitano, Edition Orient, Berlin 2024. Die Erzählungen hat Günther Orth aus dem Arabischen übersetzt.)

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