Nanni Moretti
Heute wird Nanni Moretti 60 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch! Nanni wird immer Nanni sein, der temperamentvolle, chaotische, sympathische Filmregisseur, der, kann auch ich sagen, mich hinüberdenkend nach Italien, für »unsere« Generation gesprochen hat und immer ein Leitbild der Linken und Engagierten war.
Moretti hat viel für das italienische Kino getan. Er gründete eine unabhängige Produktionsgesellschaft (Sacher Film) und in Trastevere 1991 sein Nuovo Sacher, sein Kino. Er lebt oben im Monteverde vecchio in Rom, ich lebte fünf Jahre (1999-2004) unten in Monteverde nuovo, und ein paar Male war ich in seinem Kino, und einmal, tatsächlich, als ich gerade so dasaß, kam er leibhaftig herein, Nanni Moretti, und ich konnte es nicht glauben. Vielleicht schaut er auch mal bei der Kinoschule Gian Maria Volonté vorbei, in der Magliana, mit der Vespa 20 Minuten. Vergangenen November habe ich sie vorgestellt.
Im August wie jetzt gab es hinter dem Nuovo Sacher immer Freiluftkino in einem kleinen Amphitheater dahinter. Nanni hat Humor, und er hatte wohl auch etwas für die österreichische Sacher-Torte übrig, daher der Name.
Fünf Versuche, und keiner sieht aus wie Nanni …Bianca von 1984 war ein beliebter Film, er spielte sich selbst, war ein ungelenker 30-Jähriger mit vielen linken Ideen und revolutionären Ansätzen, dann drehte er einen Film, in dem er einen Wasserballspieler mimte (Palombella rossa), aber sein Meisterwerk ist ohne Zweifel Caro Diario (1994), deutsch Liebes Tagebuch. Es besteht aus drei Akten und gehört zu meinen Lieblingsfilmen.
Im ersten Teil fährt er mit der Vespa durch Rom, begleitet von der Musik, die vor 20 Jahren aktuell war (Leonard Cohen, Khaled). Er zeigt uns Häuser und Stadtviertel, und als ich es das erste Mal 1995 sah, konnte ich nicht ahnen, dass diese Namen von Vierteln, die er so markant ausspricht (Garba-tella) mir bald so viel bedeuten würden. Rom ist im August, also gerade heute und in diesen Tagen, fast leer, und Nanni dreht mit der alten Vespa seine Runden und erklärt sich zu einem »herrlichen Vierziger«, denn so alt war er damals. Unvergesslich bleibt die Fahrt hinaus nach Ostia zur Stelle, an der Pier Paolo Pasolini ermordet wurde, und da hören wir das Klavier von Keith Jarrett aus dem Köln Concert.
Akt zwei spielt auf den Inseln, Moretti reist mit einem Begleiter umher, das ist lustig und auch poetisch, wenn er zu traumhafter Musik auf einem leeren Fußballfeld kickt, wenn jenseits der Felder ein Ozeanriese vorbeikommt, und da zieht auch Melancholie auf, wunderschöne Melancholie. Akt drei ist seine Krankheit, die Begegnung mit Ärzten und das glückliche Ende. Caro Diario sollte man sich anschauen.
Zuletzt hatte er den Film mit Michel Piccoli über den Papst (Habemus Papam), der sein Amt nicht antritt, irgendwie visionär, gedreht noch vor Benedikts Rückzug. Auf futura9 ist er im Januar 2012 schön besprochen worden. Aprile (1996) war ein Film über den Sieg der Linken (unter Romano Prodi), ein sehr politischer Film, und auch im Leben hat Nanni immer eingegriffen. Er erfand die Girotondi, das waren Zusammentreffen der Linken, aber so genau erinnere ich mich nicht mehr, jedoch hat er den Linken immer eine Stimme und ein Gesicht gegeben, und er wäre auch ein guter Politiker geworden, auch wenn man nicht weiß, für wie lange.
Beppe Grillo hat mit seinem Movimento Cinque Stelle ja vorgemacht, wie ein linker Künstler die Politik erobern kann. Aber Nanni Moretti wäre nie so gnadenlos und aggressiv gewesen wie Grillo, er ist ein verspielter Künstler, und so hoffen wir auf weitere Filme, und vielleicht gelingt ihm ja wieder so etwas wie das Tagebuch. Wenn er ganz persönlich wird, ist er am besten.
am 19. August 2013 um 09:25 Uhr.
Lieber Manfred,
ist das nicht witzig, den ganzen Morgen schon läuft hier Keith Jarett Paris/London und dann lese ich MANIPOGO und schon wieder Keith. Der Film ist wirklich schön. Ich möchte ihn bestimmt nochmal sehen…irgendwann. ciao Regina