Dreifaltigkeit im Märchen
Clarissa Pinkola Estés, die ich mit ihrer Wolfsfrau nun zum letzten Mal bemühe, hat gegen Ende ihres Buches zwei neue Dreifaltigkeiten ausgemacht, die Männer und Frauen betreffen. Die Zahl Drei kommt in Märchen ja oft vor. Frau und Mann haben je drei Märchengestalten, die (arche-)typisch wirken: Gärtner, König, Magier beim Mann; Jungfrau, Mutter und weise Alte bei der Frau.
Clarissa Estés schreibt, und wir wiederholen das Obenstehende:
Der Gärtner, der König und der Magier sind das männliche Gegenstück zur Jungfrau, Mutter und weisen Alten. Alle diese Archetypen tauchen im Verlauf der Geschichte (das Märchen »Die Jungfrau ohne Hände«) in verschiedenen Personifikationen auf, wobei es in älteren, unverfälscht erhaltenen Märchen immer die weise Alte ist, die das junge Mädchen auf die Belastungsprobe stellt und sie mit ihren unbewussten Tiefen bekanntmacht, um sie dann heil und ganz wieder herauszuführen.
Die weise Alte (in dem Märchen die Königinmutter) verkörpert eine
urtümliche, feminine Autorität, Empfänglichkeit, Beeindruckbarkeit und Fruchtbarkeit, denn die Königinmutter ist in ihrer Tiefe die Erdmutter selbst, der Nährboden fast allen Wachstums. Sie ist der Urschlamm, in dem der allererste Lebensfunke sich entzündet, um in tausenderlei Gestalten Form anzunehmen und zu sein.
Die Jungfrau stellt die unbewusste Unschuld einer noch unerweckten Psyche dar.
Hinter dieser süßen Sanftmut verbirgt sich die heldenhafte Kriegerin, die »Jungfrau von Orléans«, die Eiserne, Standhafte, Mutige. Sie hat die Ausdauer und Zähigkeit einer einsamen Wölfin und folgt den Instruktionen der Wilden Mutter bei ihrem Abstieg in die Unterwelt und ihrem Aufstieg als die Im-Geiste-Neugeborene.
Die Mutter tritt in dem Märchen als weißschimmernder Geist auf, und er ist
ein gütiger Seelenführer und Heilsbringer in unzähligen Legenden und Gespenstergeschichten. Das weiße Licht dieser Gestalt kündet von dem reinweißen, also ungetrübten Bewusstsein der Göttinnen des Lebens, des Todes und der Auferstehung.
Bei den Männern ist der Gärtner
der Kultivator, der Hüter des seelischen Wachstums. Seine Funktion besteht darin, die Energie in Zyklen umzuwälzen, neue Samen zu säen, die Setzlinge zu hüten und die Ernte einzubringen, damit alles in der Psyche sich ständig erneuern kann.
Der König repräsentiert den eingeweihten Animus (bei C. G. Jung hat die Frau einen Animus, der Mann hingegen eine Anima, im Inneren herrschen entgegengesetzte Kräfte),
der über einen unermesslichen Wissensschatz verfügt und in der Lage ist, die tiefinnersten Erkenntnisse ohne Schwierigkeiten in Worte und Taten umzusetzen. Der König ist der Sohn der weisen alten Königsmutter und somit eine der wichtigsen Viralfunktionen in der Psyche.
Der Magier schließlich
versinnbildlicht magisch anmutenden Kräfte der femininen Instinktnatur wie ihre Hellsicht, empathisches Hellfühlen und Hellhörigkeit. … Im bewussten Dasein drückt sich die gute Zusammenarbeit mit dem Magier darin aud, dass eine Frau verwandlungsfähig ist wie ein Zauberer und jederzeit die ihr im Moment passend erscheinende Form oder Gestalt annehmen kann.
∀ ∇
Gärtnerin oder Zauberin können der Frau ebenfalls dienlich sein. In unserem Leben werden uns zuweilen Menschen über den Weg gelaufen sein, die uns auf einen anderen Weg brachten oder uns etwas bei-brachten. Vielleicht war es eine Lehrerin, Sie waren (oder sind) unsere Engel und »Influencer«, ohne dass sie davon wissen mögen. Der Weg geht im Märchen und etwa im Tarot von der Unschuld (im Tarot: der Narr) über viele Stufen und durch viele Krisen hindurch zu Akzeptanz, Weisheit und Ganzheit. Wir müssen nur geduldig sein und dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren.