Binnie Kirshenbaum

Was für ein Name! Die jüdische Autorin Binnie Kirshenbaum aus New York City hat mich fast so begeistert wie Rachel Naomi Remen, und das will etwas heißen. Begeistert hat mich Binnies »high-sexed novel« (so schrieb Amazon 2004) von 1994, die auf Deutsch heißt, haltet euch fest: »Kurzer Abriss meiner Karriere als Ehebrecherin«. Darüber müssen wir als erstes sprechen.

Vergesst den blöden deutschen Titel. Im Original heißt das Buch »A Disturbance in One Place«, und das geht auf ein Zitat aus dem Buch Die Brüder Karamasow von Fjodor Dostojewski zurück. Es ist dem Buch vorangestellt, und darin steht, alles sei wie der Ozean, »alles fließt und berührt sich; eine Erschütterung an einem Ort (a disturbance in one place) verspürt man noch am anderen Ende der Welt …«

Jetzt denke ich nach, wie das gemeint sein könnte. Die Ich-Erzählerin ist verheiratet, kennt außerdem einen Mann ihres Lebens (der allerdings auf keines ihrer Angebote eingeht) und pflegt zwei außereheliche Beziehungen: zu einem Sizilianer, den sie den Killer nennt, obgleich er belesen und Professor ist, und zu einem Multimediakünstler. Die junge Frau (Binnie ist 1964 geboren, ihr Buch von 1994) kontrolliert diese Affären in jeder Phase, weil sie selbstbewusst ist, gibt sich ihnen aber hin, um zu sehen, was passiert. Sie genießt den Sex rückhaltlos. Aber sie bleibt bei sich.

Oder nicht. In dem Kapitel Den Körper verlassen bekennt sie (und da wird’s paranormal):

Während des Aktes bin ich zu einem Trick imstande: Ich kann mich entziehen, meinen Körper verlassen, an dem Vorgang nur insoweit beteiligt sein, als ich in der Luft darüber schwebe und zwei Menschen bei der Paarung zuschaue. Manchmal war sogar das zu schwer zu verdauen, und dann verließ ich das Zimmer gänzlich, trieb zu einem Film davon oder zum Strand. Für den Orgasmus kam ich aber zurück. Ganz umsonst sollte es doch nicht sein.
Wenn das geschah, wenn ich mich von meiner unteren Körperhälfte trennte und meine Aufmerksamkeit auf etwas völlig anderes richtete, dann nahm ich das als Botschaft Gottes: Mach die nicht die Mühe, nochmal mit diesem Typ zu schlafen. 
Das Ergebnis war: Ich war intim mit Männern, mit denen ich nicht im geringsten intim war. Technisch gesehen haben wir gebumst, aber ich kann nicht sagen, dass ich dabei war. 

Beim Küssen gelang ihr das nicht. An einem Sommertag war sie mit ihrem Mann des Lebens unterwegs, der sehr viel älter war als sie, und sie war »schwindlig vor Glück«. In eine Gasse gingen sie.

Dort küsste ich ihn. Und er küsste mich wieder. Oh, was für Küsse! Kostbare Küsse, jeder wie ein Gedicht. Es erschien unmöglich aufzuhören, sich von solchen Küssen loszureißen … 

Immer wieder suchte sie die Gasse, und der Killer fand sie Jahre später: Charles Lane. Eine sehr alte Straße.

Der Killer streckt den Arm aus und zieht mich an sich. Und wir küssen uns. Der Kuss wird zu einem Kuss aus der Vergangenheit, dann verwandelt er sich in einen anderen Kuss. Aber nicht in irgendeinen anderen Kuss. Auch dieser Kuss kommt aus einer anderen Welt. Ich fühle mich, als würde ich schweben, als wären meine Füße Zentimeter über dem Pflaster. Und ich denke: Bis in alle Ewigkeiten könnte ich so weiterküssen. 

So schön schreibt Binnie Kirshenbaum, so empfindsam ist sie.

Morgen mehr.

 

 

 

 

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