Mehr Seltsames. Hebel und Instagram

Bei uns im Pflegeheim reden wir viel über Johann Peter Hebel, den sogar Kafka und Walter Benjamin lobten. W. G. Sebald hat ihn in Logis in einem Landhaus sehr gepriesen und Heidegger gerügt, der 1957 in seinem üblichen metaphysischen Geraune über Hebel schrieb, wie es die Nationalsozialisten 20 Jahre zuvor getan hatten. Heute jedoch: Hebels Seltsamkeiten.

Unter den rund 120 Beiträgen für das Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes finden sich die folgenden Überschriften:

Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande
Eine sonderbare Wirtszeche
Seltsamer Spazierritt
Das seltsame Rezept
Merkwürdige Gespenstergeschichte
Merkwürdige Schicksale eines jungen Engländers
Seltsame Ehescheidung (hatten wir gestern!)
Wunderlichkeit

Das Seltsame, Sonderbare, Wunderliche und Merkwürdige ist das, was aus dem Rahmen fällt. Diese Episoden machen den Kern des Journalismus aus. News ist nicht, dass 12 Züge pünktlich ihr Ziel erreichten, sondern dass ein Zug wegen einer Herde Wildschweine eine Stunde stehenblieb. Regina, eine Frau im Heim, fragt immer: »Woher hat der Hebel das wohl?« Nun, er wird schon seine Quellen gehabt haben. Freunde haben ihm viellleicht kuriose Geschichten erzählt, und vielleicht gab es schon kleine Zeitschriften in deutschen Fürstentümern. Heinrich von Kleist hat übrigens auch journalistisch gearbeitet und »eigenartige« Geschichten in seiner Berliner Zeitung veröffentlicht. — Der älteste Spruch dazu lautet: Hund beißt Mann ist keine Geschichte; Mann beißt Hund schon.

Heute ist Instagram voll von Kuriosa, manche etwas despektierlich, doch in unserer visuell geprägten Zeit, wo jeder sein Handy griffbereit hat, filmt man eben mal schnell jemanden, der ausrutscht oder ein Auto, das sich auf dem Seitenstreifen überschlägt. Die Welt ist voll von Dingen, die danebengehen, Schadenfreude ist garantiert, und man vergisst darüber, wie vieles gelingt! Und bei Reisen sehen wir das, was sich von unserem Lebensstil unterscheidet und nicht das, was uns verbindet.

Bei Hebel finden sich in den Überschriften gern die Adjektive listig, schlau und klug. Ein cleverer Schachzug, eine geniale Antwort, eine gelungene Retorte sind ebenfalls Seltsamkeiten und liefern oft genug eine Pointe, die die Leser mit einem Schmunzeln zurücklässt. Sebald hat die »ätherische Flüchtigkeit« der Prosa Hebels erwähnt. Natürlich, es sind schnelle Anekdoten, über die man grinst und die man schnell wieder vergisst.

Instagram ist ja genauso. Text mit Cliffhanger: damit man weiterliest und vielleicht abonniert. Lehren sucht man da vergebens; das Leben ist ja ganz schön lustig! könnte man allenfalls ausrufen.

Doch das Tragische fehlt bei Instagram auch nicht. Der Tod. Angehörige sprechen über ihre lang währende Trauer, das hilft ihnen. Sie versuchen, einen Tod durch Verkehrsunfall oder Verbrechen zu verstehen. Das ist alles sehr intensiv, man wird manchmal betroffen.

Andere kleine Beiträge (über Ehemann/Ehefrau, Reise-Erlebnisse) verflüchtigen sich noch schneller als Hebels Prosa. Wenn man länger auf Instagram hinunterblättert, ärgert man sich. Es ist ein Podium der wohlhabenden Schichten, der öde Gossip über Mann und Frau nimmt kein Ende, und dauernd räkeln und bewegen sich biegsam halbbekleidete verführerische Frauen. Über 50-Jährige preisen ihre langen Beine an, 20-Jährige bekennen, dass sie sich für ältere Männer interessieren (weil da der Lebensstil stimmt: den von VIPs wollen sie) Es ist ein Heirats- und Sexmarkt. Und das ist die Trumpsche Welt, die in die 1960-er Jahre zurückweist. Frauen bieten sich an, es geht um viel Geld, Sex und weiße Haut.

 

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