Die Jüdin von Toledo

Den 500-Seiten-Roman Die Jüdin von Toledo von Lion Feuchtwanger (1884-1958) gelesen, weil mich das Thema interessierte (der spanische König Alfonso VIII. verliebt sich in die schöne Rachel) und ich vergangenes Jahr mit dem Rad in Toledo war, dieser Stadt mit großer Geschichte in Kastilien.

Liest jemand noch deutsche Romane aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Das sind große sprachmächtige Gemälde, auch wenn Feuchtwanger sein Buch erst 1955 geschrieben hat, und interessant, die wichtigste Anregung, Franz Grillparzers gleichnamiges Bühnenstück, wurde exakt 100 Jahre davor publiziert.  

Es ist ein großer Roman, der Autor auf der Höhe seiner Kunst; er dirigiert seine Figuren, behält in jeder Phase den Überblick, schildert die historische Lage und Moden und Architektur, Wetter und Gebräuche, und man liest das freudig runter, es ist spannend und unterhaltsam.  

Aber am Ende kann man wenig mehr darüber sagen. Die Handlung: Alfonso ist verheiratet, lebt aber getrennt von seiner Königin, verliebt sich dann in die blutjunge Rachel, lässt ihr ein Schloss einrichten, verbringt die meiste Zeit mit ihr … Doch die Liebe rettet Alfonso nicht, er ist ein Kriegsmann und will kämpfen, auch wenn Rachels Vater, der jüdische Kaufmann Jehuda ben Esra, die Finanzen seines Landes so gut im Griff hat und sein Vermögen mehrt.  

Toledo, Blick auf den Fluss

Alfonso zieht gegen die Moslems, Rachel bleibt zurück, und alle bleiben am Ende geschlagen zurück, und es wird allenfalls angedeutet, dass der König nach seiner Niederlage, wo er Tausende in den Tod schickte, zu einem gewissen Frieden findet; später nannte man Alfonso VIII., der von 1223 bis 1284 lebte, den »Weisen«. 

Es ist ein großer Roman, aber doch ein klassischer Roman, in dem alles ausgeleuchtet wird bis ins Letzte. In der dritten Person wird erzählt, der allwissende Erzähler lässt seine Stimme ertönen, und wir wissen, was Alfonso fühlte und was Rachel, alles wird aufgedeckt, alles ist am Ende klar – bis auf die Tatsache von Alfonsos Vernarrtheit in die kleine Rachel; wenigstens die Liebe ist irrational.  

Toledo: die Synagoge

Adorno hat, glaube ich, einmal gesagt, es sei ein Problem, wenn in einem Buch »alles aufgeht«. Da bleibt kein Schatten und keine Unklarheit. Es gibt ja heute auch Laberbücher mit tausend Seiten, aber daran wollen wir Feuchtwanger nicht messen. Romane wie Die Jüdin von Toledo gehören in ihre Zeit und sind im Grunde, wie ich das ausdrücken möchte, klassische Physik. Man mag an Albert Einstein denken, der in Princeton im Jahr des Romans, 1955, starb.  

Einstein legte die Fundamente zur Quantenphysik, aber das war ihm zu verrückt, er glaubte an feste Objekte und die klassische Physik und konnte sich bis an sein Lebensende nicht damit abfinden, dass der Urgrund unklar ist, nebelhaft und von Wahrscheinlichkeiten regiert wird. Daran können wir nicht mehr vorbei, große Romane heute müssten mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten und vieles im dunkeln lassen, denn in den vergangenen 50 Jahren hat sich ja wohl einiges geändert.

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