Nebel
November, der Nebelmonat. Der Nebel ist auch etwas Schönes, sagt manipogo, die Seite mit den positiven Ansätzen. Nebel rückwärts gelesen heißt Leben. Nebel verhüllt manchmal gnädig etwas, und manchmal spielt er Schicksal, wie in zwei Beispielen. Bei Louie Harris und Laurens van der Post trat plötzlich Nebel auf und hatte eine wohltätige Wirkung.
Louie Harris erzählt in ihrem Buch Alec Harris über dessen Leben (und das ihre), wie sie ihn kennenlernte im Sommer 1920. Mit ihrer Freundin Peggy fuhr sie nach Ilfracombe, um dort vorzuspielen und vielleicht eine Engagement für die Sommersaison zu ergattern. Das Vorspielen lief gut, aber die in Aussicht gestellte Gage war zu niedrig. Die Mädchen sagten ab und wollten wieder heim. Sie »nahmen das Boot zurück nach Cardiff. Und dort nahm das Schicksal die Sache in die Hand und seinen Lauf.«
»Eine dichte schwarze Wolke senkte sich auf unser Schiff. Sie breitete sich weiter aus und wurde zu einem Nebel, der die Sicht auf Null reduzierte. Darum kamen wir erst drei Stunden später in Cardiff an. Zu unserem Verdruss verpassten wir den Anschlusszug und konnten nicht heimfahren. Ich schlug Peggy vor, bei einer Freundin zu übernachten, Lily Bristow. Ich wusste, dass sie uns gerne aus unserem Dilemma helfen würde. Mutter würde sich keine großen Sorgen machen, da wir uns dahingehend verständigt hatten, dass ich, sollte ich in irgendwelche Schwierigkeiten kommen, mich an Lily wenden sollte. Und eine Stunde später klopften zwei müde, niedergeschlagene Mädchen an ihrer Tür und klagten ihr Leid. Lil gab sich verständnisvoll und bot uns gern ein Obdach für die Nacht an. Als Peggy ins Bett ging und das Licht ausdrehte, seufzte sie: „Es ist doch ein toller Tag gewesen, nicht war? Schade, dass er so enden musste.“
Am nächsten Tag, einem Sonntag, wollte Peggy unbedingt zu ihren Verwandten, der Harris-Familie. Die beiden gingen zu Fuß zur Malefant Street und holten die Familie aus dem Schlaf, indem sie Hausmusik machten. Louie schreibt: »Der letzte, der das Zimmer betrat und noch eine Hose über seine gestreiften Pyjama-Hosen zog, war ein kräftiger, gut gebauter junger Mann von vierundzwanzig Jahren, vielleicht 1,72 Meter groß. Er war äußerst gutaussehend: Sein Haar, noch vom Schlaf zerzaust, hatte die Farbe von poliertem Gold, seine Augen schimmerten dunkelblau, so unglaublich blau! Er blieb abrupt stehen, als er mich sah.
»Ich hörte mitten in einem Akkord zu spielen auf, behielt den Bogen in der Hand und die Violine unter mein Kinn geklemmt, und mein Mund stand offen wie der eines Goldfischs. Ich war unfähig, mich zu bewegen. Ich fühlte, dass eine Hand nach meinem Herzen gegriffen hatte, und die Finger drückten so fest, dass ich kaum atmen konnte. Einen sehr langen Augenblick standen wir reglos und starrten einander an.«
Dann verlieren sie sich aus den Augen, treffen sich zufällig wieder, kommen sich bei einer Weihnachtsparty näher, und 1928 heiraten sie. Ihre Verbindung sollte 46 Jahre dauern, und ihr Buch sollte man lesen, das aber auf Deutsch erst Anfang nächsten Jahres vorliegen wird. Ich gebe Bescheid.
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Laurens van der Post war 1906, sechs Jahre nach Louie, in Südafrika geboren worden. Er arbeitete als Journalist und reiste mit Kapitän Katsue Mori auf der Canada Maru 1926 nach Japan, über das er in dem Buch Yet Being Someone Other (1982) schrieb. Nach mehreren Reisen zwischen Südafrika und Großbritannien wollte er 1936 endlich auf die Insel, weil er die Katastrophe kommen sah, die von Deutschland ausgehen würde. Van der Post nahm das Schiff Watussi von der Hamburg-Afrika-Linie, das hervorragend geführt war, aber schon ein Nazi-Mikroklima aufwies. Der Kapitän hatte Angst vor dem Ersten Steward, der zur Nazipartei gehörte, ein Mann verschwand, offenbar über Bord gestoßen, und alle Insassen hatten Angst.
Der junge Journalist, der sich in Südafrika schon vehement gegen die Diskriminierung der Schwarzen ausgesprochen hatte, denkt sich plötzlich: Ich muss etwas tun. Er müsste etwas für Europa und Großbritannien tun. »Ich erinnere mich, wie in jener letzten Nacht meiner letzten Reise eine große Ruhe über mich kam, wie wenn der Mond in einer dunklen Nacht über den Kamm der Kalahari-Wüste steigt. Ich betete verzweifelt, dass mir noch eine Nacht und noch ein Tag verbleiben würde, um diese Ruhe sich in mir festigen zu lassen, bevor das Land auf mich zukam mit allen Unsicherheiten und Veränderungen, die ein solcher Kurswechsel mit sich bringen würde.
»Wie es der Zufall wollte, hüllte in jener Nacht dichter Nebel das Schiff, das Meer und das Land ein, und wir waren gezwungen, für weitere achtunddreißig Stunden im Solent vor Anker zu gehen, bevor wir den Liegeplatz in Southampton erreichten. Ohne das Meer und die Vorsehung hätte ich womöglich nicht den Mut gehabt, das zu versuchen, was ich versuchen wollte.«
Van der Post schrieb ein Buch der Warnung, aber es kam zu spät und verbrannte denn auch in einem Luftangriff. Später stand er in Äthiopien im Krieg. Doch darum geht es nicht; es geht um Wendungen und Wege im Schicksal des einzelnen, ob sie nun Folgen haben oder nicht.