Taten und Daten
Da fanden ja vor ein paar Tagen die Freundschaftsspiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien und England statt. Hab ich mir aus Langweile angeschaut. Als Experte kam nach dem Italien-Spiel auch Oliver Bierhoff zu Wort, der ja besonders schlau ist. Jetzt will er den Fußball modernisieren. Hilfe!
Nicht Bierhoff will es alein, sondern vor allem der Softwarekonzern SAP. Der Artikel in der FAZ klingt ja furchterregend: Chip im Stutzen der Spieler, Trainer mit Datenbrille … Das muss nicht so kommen. Aber im Fußball ist eine Menge Geld zu holen, und immer mehr Daten und Fakten, das scheint verlockend. Man kann das Leben in Zahlen ausdrücken und danach handeln, aber ist das noch menschlich?
Schon jetzt ist ja die früher »schönste Nebensache der Welt« von den Medien zur Hauptsache aufgeblasen worden. Das Spiel ist eingebettet in Vor- und Nachbetrachtung, das ganze Gelaber verwirrt einem den Sinn. Man ist wie in Trance. Und nun hält Bierhoff den Einzug des Computers für die Zukunft des Fußballs. Viel Vergnügen!
Vor einigen Jahren fing es schon an mit der Datenflut. Plötzlich konnte man nachlesen, wie viel Kilometer die Spieler gelaufen waren, die Prozentzahlen für Ballbesitz und angekommene Pässe und mehr. Natürlich gab es schon in den 1960-er Jahren Enthusiasten, die wussten, welcher Spieler wo und wie lange zum Einsatz gekommen war, wie ja auch in der Rockmusik aufgelistet wurde, welcher Musiker zu welcher Band gehörte und bei welchen Platten er mitspielte. Der amerikanische Baseball ist völlig im Bann der Statistik.
Da sagt dann die Moderatorin, das Hummels-Tor sei das erste Kopfballtor seit vielen Monaten in der Nationalmannschaft gewesen. Sei das nicht kurios? Das ist zum Beispiel eine sinnlose Information. Aber Daten herzunehmen, um Spieler zu klassifizieren und die Mannschaft zu gestalten, hat eine andere Qualität. Man stelle sich vor, da ist ein Mittelfeldspieler, dessen Pässe nicht so gut ankommen und der nicht so viel läuft wie andere, aber dafür ein netter Kerl ist, den seine Mitspieler mögen. Er ist wichtig für das Team. Aber er muss vielleicht auf die Bank. Reines Schielen auf Effizienz ist dumm.
Nehmen wir als warnendes Beispiel die Medizin. Bildgebende Verfahren und die ganze Gerätemedizin schoben sich allmählich zwischen Patienten und Arzt/Ärztin. Alles wurde und wird kontrolliert. Keine Zeit mehr; der Arzt schaut auf ein Bild oder seinen Bildschirm und entlässt den Patienten nach drei Minuten. Man hat vergessen, dass die menschliche Zuwendung im Zentrum ärztlichen Handelns stehen sollte. Es wäre sogar rational, mehr Zeit mit dem Patienten zu verbringen und würde Geld sparen!
Es ist schon absurd, wie wir uns ohne Not versklaven lassen. Man hält das auch noch für Fortschritt und »die Zukunft«. Aber der Mensch freut sich an seinen Spielzeugen, und wie immer übertreibt er es damit. Doch man kann sicher sein, dass Fußball sich den Computerleuten entzieht. Fußball wird immer irrational bleiben, weil der Mensch es ist. Und dann erst elf Menschen in der Hitze des Gefechts!
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Ein interessanter Gedanke hierzu von Iain McGilchrist. In seinem Buch The Master and His Emissary vertritt er die Ansicht, seit der Aufklärung habe sich die linke Gehirnhälfte, die eigentlich die Botschafterin der rechten sei, zur Alleinherrschaft aufgeschwungen. Sie ist bekanntlich (grob gesprochen) für Sprache, Details, die Logik und die Liebe zur Maschine zuständig. Die rechte Gehirnhälfte verwaltet die Emotionen, die Instinkte und das Bildhafte. Wie das auf globaler Ebene geschehen konnte, ist schleierhaft − und wie die rechte Seite ihren Abgesandten wieder zur Ordnung rufen und zu ihrem Recht kommen könnte, auch.