Honigkuss
Vergangenen Sommer hatte ich über den unendlichen Orgasmus geschrieben, Islam im Paradies aus Männersicht, und nun muss ich natürlich auch über das Buch Honigkuss von Salwa Al Naimi referieren, das 2008 auf Deutsch erschienen ist und Sexualität in weltlicher Sicht bietet, aus weiblicher Sicht, aber dann … zieht sie uns den Zauberteppich weg und lässt uns mit edlen Gedanken allein.
Aber zunächst etwas Grundsätzliches: Nichts kann man glauben in der Literatur. Was ein Autor beteuert in einem Buch, muss nicht wahr sein. Wir wissen es einfach nicht, es liest ja jeder sein eigenes Buch, und zur Hölle mit dem, wie es angeblich wirklich war!
Zur Einstimmung die Geschichte, die zum Honigkuss gehört. Ibn Arabî (1165-1240) schrieb 150 Werke, von denen wir nur eine Handvoll kennen, und eins heißt Tarjuman al-ashwaq. Als er 38 Jahre alt war, lernte er in Mekka Nizam kennen, die schöne, intelligente und fromme Tochter eines Scheichs. Mit 51 Jahren schrieb er sein Buch voller Anspielungen, eine Liebeselegie. Er wurde dafür gescholten und lieferte als Antwort einen Kommentar, der bewies, dass alle Verse allegorisch gemeint seien, also einen mystischen Weg und Aufstieg schilderten.
Schlauer Schachzug; aber wir wissen natürlich nicht, ob er nicht vielleicht doch Nizam anschwärmte. Literatur hat immer einen doppelten Boden, ist trickreich und verschlagen.
Illustration: Rolf HannesSalwa Al Naimi erzählt auf 126 Seiten von ihren zahlreichen erotischen Abenteuern, und ganz detailliert lässt sie uns an ihren Begegnungen mit dem »Denker« teilhaben, der die größte Geschichte ihres Lebens war, und diese Begegnungen finden meist auf dem »Lager« statt. (Sie sagt übrigens, der Begriff sage ihr mehr zu als Bett; in alten Zeiten, in der Bibel etwa, heißt es oft Lager. Und Salwa behauptet auch, sie habe nie mit einem »geschlafen«; sie sei immer hellwach gewesen dabei!)
Eine wunderbare Stelle über die arabische Sprache: »Ich muss nur einen Abschnitt lesen, und schon werde ich feucht. Keine andere Sprache vermag mich so zu erregen. Arabisch ist die Sprache des Sex. Im Augenblick der größten Hitze ist für mich Arabisch die einzige Zuflucht …« Junge Männer, denen sie zuhört, sprachen dagegen über die abgründigsten sexuellen Dinge auf Englisch und Französisch. Über Sexualität in einer anderen Sprache zu reden, ist wirklich eigenartig; man steht etwas neben sich, aber direkten erotischen Einfluss hat nur die eigenen Sprache. Telefonsex ist im Grunde wie Literatur.
Gegen Ende ihres kurzweiligen Romans erfahren wir, dass der Denker fortgegangen ist und sie ihn vermisst, täglich an ihn denkt. Sie werde bald eine neue Geschichte erleben (schön, eine »Geschichte«, wie in der Literatur). »Die Antworten kommen wie die Geschichten ganz von allein und zur rechten Zeit, so wie reifen Früchte vom Baum fallen.«
Dann lässt sie die Katze aus dem Sack (ist das das richtige Bild?): Sie habe den Denker erfunden, in ihn seien vielleicht alle anderen Liebhaber eingeflossen, und eines Tages werde sie ihm wieder begegnen. »Ich erschuf ihn, aber nicht nach meinem Bild. Ich sagte: Sei!, und da war er. Er war so, wie meine Worte ihn erschufen. … Jetzt verstehe ich den Sinn dessen, was er nie müde wurde zu sagen: ›Du bist die Quelle von allem, was zwischen uns ist … Du bist die treibende Kraft unserer Geschichte.‹«
So wie der Allmächtige in einer alten Sufi-Tradition den Menschen erschuf, um sich in ihm spiegeln zu können, so erschuf sie als Autorin den Denker. Erst durch ihn sah sie das Licht und wurde sie selbst. Aber dann heißt es auch: Erst im Geliebte erkennst du das Göttliche; sie »erkannten einander«. Dieses Spiegelspiel ist zu vielschichtig, um es in Kürze darstellen zu können. Jedoch wissen wir eins: dass wir nichts wissen. Vielleicht gab es den Denker nicht, aber die anderen; oder es gab weder ihn noch andere, alles ist erfunden; oder es war tatsächlich so, und sie schreibt das, um sich vor Angriffen zu schützen? (Später zog Salwa Al Naimi ihr Buch aus einem Wettbewerb zurück, da manche meinten, sie habe verbotene Wörter benutzt.)
Es ist eben eine Geschichte.