Koro

Kurios, dieses Koro, auf das ich bei meiner Lektüre gleich zwei Mal stieß. Es ist eine kulturabhängige Krankheit, die als Epidemie auftreten kann, was in Hongkong und Singapur auch schon geschah. Männer glauben, dass ihr Penis dabei ist, sich ins Körperinnere zurückzuziehen und befürchten den Tod.

Pow Mang Yap hat 1969 darüber geschrieben, als er kulturabhängige Krankheiten vorstellte wie den susto (Seelenverlust) in Südamerika, amok in Malaysia, Latah (Besessenheit) in Nordafrika und Windigo bei den Indianern des nordöstlichen Kanadas, wobei sich der Patient von einem Monster besessen glaubt und daraufhin in einer psychotischen Episode manchmal kannibalistisch tätig wird.  

Professor Yap erläutert, bei Koro handle es sich um eine Depersonalisation, die den Penis betreffe, meist als Verstärker von Schuldgefühlen (etwa nach sexuellen Exzessen und Autoerotik) bei ängstlichen Menschen. Meist führt das Auftreten einiger Fälle zu einer Ansteckung, und viele haben Angst. 1963 schilderte Gwee einige Fälle, 1967 kam es zu einer Welle in Singapur mit 469 Fällen in einem Monat, und 1993 schätzte der Arzt Cheng Sheung-tak, dass es 3000 Betroffene gäbe. Das stand in dem Artikel Shrinking Dicks von Ian Simmons in der Fortean Times 1994. 

Monument bei Trogen (Appenzell)

Koro ist malaysisch, und auf Chinesisch heißt das Syndrom Shook Yang. Das Problem ist, dass in ihrer Panik die Männer das herbeiführten, wovor sie sich fürchten: Schäden am Penis und manchmal den Tod. Denn sie befestigten ihr Geschlechtsteil mit Sicherheitsnadeln und anderen Instrumenten, damit es sich nicht zurückzöge (Freud hätte diese Geschichte diebische Freude bereitet!), und manchmal ließen sie andere ihn festhalten, und manchmal lösten sich Nachbarn bei dieser Aufgabe ab.  

Es ist natürlich ein Phänomen der Ansteckung, wie es in Südostasien mit seiner engen sozialen Struktur öfter vorkommt. Bizarr, aber wahr: Einmal, es muss im Jahr 1996 gewesen sein, saß ich abends alleine in meinem Büro im Freiburger Institut, hatte über Koro gelesen, und Panik überfiel mich. Sie wurde so stark, dass ich die Urologie der Freiburger Universitätsklinik anrief, um mich beruhigen zu lassen; der Mann war verwundert und meinte, das könne er sich nicht vorstellen; ich solle mir keine Sorgen machen. Jetzt kommt mir das irreal vor, aber es war wohl so.  

Es muss sich um eine Urangst des Mannes handeln, die sich in Koro abbildet. Sein nach seiner Meinung wichtigstes Körperteil will verschwinden; es mag ein Akt der Selbstbestrafung sein. Koro ist eine Fußnote im Reich der Ethnopsychiatrie, und man kann dazu nur sagen: Was es nicht alles gibt!

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