Eingriffe in den Unterleib
Der Medizinhistoriker Shorter hat auch ein Buch über die weiblichen Körper geschrieben, History of Women’s Bodies, und in Deutschland bekam das 1987 den schicksalsschwangeren Titel Der weibliche Körper als Schicksal aufgedrückt. Der deutsche Verlagsmensch raunte immer gern, aber das ist nun nicht Thema, sondern die Arroganz des männlichen Arztes im 19. Jahrhundert.
Es ist etwas schwer, dieses Thema kurz abzuhandeln, weil Shorter – ganz im Gegensatz zu seinem Namen – sehr ausführlich schreibt und zwischen den Jahrzehnten hin- und herspringt. Man kann jedenfalls sagen, dass man Anfang des 19. Jahrhunderts in der Medizin ebenso wenig wusste wie 200 Jahre davor; nur dachte man, mehr zu wissen und spekulierte munter drauflos. Erst entdeckte man die »Spinalirritation«, und dann kam als ein Update die »Reflextheorie« in Mode, die von 1850 bis 1900 viele ärztliche Anhänger hatte. Nervenimpulse von einem beliebigen Organ konnten angeblich via Wirbelsäule ein anderes Organ befallen. Alles konnte also von allem kommen, der Fantasie waren Tür und Tor geöffnet.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es viele neurotische und hysterischen Patientinnen, was vermutlich zum Großteil an der bedrückenden, rechtlosen Lage der Frau in der Gesellschaft lag; da drückte sich psychisches Leiden aus. Die Ärzte begriffen das nicht. Shorter meint, sie seien nicht in der Lage gewesen, Einfühlung in das Seelenleben ihrer Patientinnen aufzubringen. Diese waren für die Doktoren »törichte, von Launen regierte Geschöpfe«; die Frau galt als eine »mechanische Puppe, in der die Gebärmutter die Rolle der Triebfeder spielt«. Den Unterleib hatte man rasch als Quelle aller Übel ausgemacht, die Gynäkologie war gerade am Aufblühen, und so musste man sich nicht wundern, dass die Besessenheit der Ärzte mit den weiblichen Fortpflanzungsorganen auf die Frauen selber übergriff.
Und es kam zu konkreten Übergriffen – zu chirurgischen Eingriffen in die Körper. Ein »abstruses Kapitel in der Geschichte der Medizin« nennt es Edward Shorter, dass ein »Reflexbogen« zwischen der Gebärmutter und dem Gehirn konstruiert wurde (für ihn gab es keinen konkreten Hinweis). Man dachte, Hysterie mit Operationen heilen zu können. Ab 1870 nahmen größere Unterleibseingriffe zu.
Die Ärzteschaft begeisterte sich für die Battey-Operation, was die Entfernung der Eierstöcke war: Ovarektomie. 1872 entfernte der Freiburger Ordinarius Josef Hegar einer 27-jährigen Frau beide Eierstöcke; sie starb wenige Tage danach. Eine von vier Patientinnen überlebte die Operation nicht. Im Jahr 1884 nahmen auch deutsche, englische und amerikanische Kleinstadtchirurgen ihren Patientinnen die Ovarien heraus. Shorter: »Dieser chirurgische Großangriff sollte noch mindestens ein volles Jahrzehnt lang so weitergehen.«
1904 beschrieb der US-Arzt Frank Billings einen Fall und meinte, das Leben der Frau sei ruiniert worden. Was aus den Patientinnen wurde, hat niemand überliefert. Ein deutscher Arzt griff bei einer Patientin zu einer Scheinoperation – und ihr ging es danach gleich besser; sie war geheilt. Man hatte also vermutlich tausende Frauen umsonst »castriert«. Ein Arzt einer Privatklinik, Sigmund Gottschalk, behauptete 1891, »dass die ›Castration‹ ihr Bürgerrecht in der operativen Gynäkologie nunmehr 15 Jahre hindurch immer glänzender behauptet hat«.
Auch die Klitoris wurde zuweilen entfernt, vor allem bei Fällen hartnäckiger Masturbation, und in dem aufgeheizten Klima riefen Frauen sogar nach der Ovarektomie, für Shorter »die Konsequenz eines halben Jahrhunderts von ärztlicher Seite ausgeübten Suggestion«.
am 6. März 2014 um 13:35 Uhr.
in dem Zusammenhang ist folgendes nicht zu vergessen aus Wikipedia:
Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Sauberkeit und Desinfektion in der Medizin nicht als notwendig angesehen. So wurden die Operationsschürzen der Chirurgen praktisch nie gewaschen und waren deshalb schwarz, damit die eingetrockneten Blutflecken nicht so auffielen. Medizinische Instrumente wurden vor dem Gebrauch nicht gereinigt. So wurden in einem Pariser Krankenhaus die Wunden von verschiedenen Patienten nacheinander mit dem selben Schwamm gereinigt.
und
Sir Joseph Lister, ein schottischer Chirurg verwendete (1867) erfolgreich Karbol zur Desinfektion von Wunden vor der Operation. Er war zunächst der Meinung, dass Infektionen durch Erreger in der Luft verursacht würden. Eine Zeitlang wurde deshalb während der Operation ein feiner Karbolnebel über dem Patienten versprüht, was wieder aufgegeben wurde, als man erkannte, dass Infektionen hauptsächlich von Händen und Gegenständen ausgingen, die in Kontakt mit den Wunden kamen.