Ein Killer in Therapie
Ausgefallene Geschichten ziehen mich an. Das ist nicht journalistisch, sondern einfach menschlich. Als ich in dem Buch Healing Powers (1992) des Politologen Fred Frohock einen Abschnitt darüber entdeckte, dass ein Mafia-Killer sich in Therapie begab, merkte ich mir das ein.
Frohock sprach mit vielen Heilern, Priestern und Psychiatern, und zu Letzteren gehörte Paul Duncan, der am Morgen Patienten behandelte und nachmittags an der Universität unterrichtete. Ich übersetze die Passage einfach schnell aus dem Buch.
»Einmal hatte Duncan einen Patienten, der ein hit man [Auftragskiller] der Mafia war. Er kam nicht wegen Schuldgefühlen, bedingt durch seinen Beruf, in die Therapie, sondern weil er Probleme in seinen Beziehungen zu seiner Frau und zu seinen Kindern hatte. Im Verlauf der Therapie zeigte sich, dass die von ihm gewählte Arbeit sein Familienleben beeinträchtigte, und nicht nur am Rande. Doch die Tätigkeit des Patienten wurde in der Therapie nicht zu einem moralischen Thema. Sie hatte darin ihre Rolle, wie alle Umstände einer Arbeit es tun würden – als Material für den Therapeuten. Das moralische Problem, für seinen Lebensunterhalt zu töten, wurde nicht gesondert angesprochen, nur als Faktor (neben anderen Variablen), der womöglich die Verbindung zu seiner Familie störte.«
»Duncan sieht seine eigene Arbeit in fest umrissenen medizinischen Bezügen. Wie der Orthopäde, der das gebrochene Bein des Killers schienen, ohne ihm sagen zu müssen, er möge mit dem verletzten Bein nicht zu einem potentiellen Opfer gehen. Duncan ist es nicht um moralische Besserung zu tun. Um die Geschichte zu einem Ende zu bringen: Der Killer profitierte von der Therapie und ging weiter seinen Aufgaben nach (wenngleich vermutlich gelassener).« (S. 82)