Entfernungen

Da war ein netter junger Mann, der in Marsala sagte der nächste Campingplatz sei 10 Kilometer entfernt, vielleicht weniger. (Es waren 12.) Ein anderer junger Radler meinte, der Platz käme nach eineinhalb Kilometern. (Es waren 4.) Vielleicht sollte man das mit den Entfernungen bleiben lassen.

Ich selber weiß auch nicht genau, was 100 Meter sind. Ich sollte einmal zehn Freunde und Bekannte fragen: Wie weit sind 100 Meter? Wenn mir jemand den Weg erklärt in der Fremde, weiß ich meistens, dass ich ihn nicht finden werden. Wenn jemand sagt wie an meinem letzten Tag: An der zweiten Ampel rechts, an der vierten links, dann klappt das. Oder: Da vorn kommt eine Villa mit Bäumen, dann rechts und immer geradeaus.

Oft aber deuten Italiener vage mit der Hand in eine Richtung und äußern dazu: Da rüber, da hinter, da. Wo? Rechts oder geradeaus oder wo? Was aber richtig nervt ist, dass sie keine Ahnung von Entfernungen haben. Salvatore Amendola, Besitzer der Pizzeria Valle Verde in Zambrona, sagte, Crotone sei 200 Kilometer weg. (Es waren 140).

An meinem letzten Tag hielt ich in einer Bar weit vor Matera an, an der Staatsstraße, irgendwo am Rand. Man wusste gar nicht, ob sie offen war. Viel Umsatz wird da nicht gemacht. Der Barista sagte, Trani (wohin ich wollte) sei 130 Kilometer von hier und von Matera 100, das könne ich unmöglich schaffen. Ein anderer pflichtete ihm bei. Ja, das geht mir in Italien auf den Geist: Kaum erwähnt man einen Ort, werden alle ernst und sagen Hu, das ist noch weit oder Kann man nicht schaffen.

Für Leute, die in ihrer kleinen Welt leben und vor der großen da draußen Angst haben, ist alles schwierig. Italien ist jedenfalls nicht gerade ein Land, in dem man zu Höchstleistungen motiviert wird. Italiener, zeigen Resultate der Schmerzforschung, leben sehr in der Gegenwart und leiden darum unter dem Schmerz. Wer in die Zukunft gerichtet lebt, hält den Schmerz aus oder steckt ihn weg, weil er einen Sinn hat.

Ein Cafebesitzer in Kalabrien erzählte mir in einem Atemzug drei Geschichten: von dem wahnsinnig begabten Radfahrer, der alle überholte, aber nicht das Zeug (den Kopf) zu einer Profikarriere hatte; von der schönen Frau aus seinem Ort, die man zum Model machen wollte, die aber keine Lust dazu hatte und vier Kinder bekam, ohne ihre Schönheit einzubüßen; und von sich selbst, dass er vor 30 Jahren bei vierfachem Gehalt das Angebot gehabt hatte, nach Kenia zu gehen. Ihm ging es gut auf der Insel Elba, also lehnte er ab. Mir sagte er aber, er denke heute, er hätte annehmen sollen.

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