Krankensaal sechs
Auch ich war im August in die Medizin-Maschinerie geraten: Bilder machen lassen, auf die Erläuterung warten; neue Bilder machen, neue Erläuterungen. Während der Wartezeiten las ich von Anton Tschechow (1860-1904) die Erzählung Krankensaal sechs, die in einem Krankenhaus spielt. Tschechow war Arzt. Der Arzt Andrej Jefimitsch betreut seit zwanzig Jahren ein heruntergekommenes Krankenhaus, an das der Krankensaal sechs anschließt. In Ihm sind fünf Verrückte untergebracht. Jefimitsch, der zurückgezogen lebt und abends immer nur liest, merkt, dass man sich mit einem der fünf, Iwan Dmitritsch, gut unterhalten kann. Da der Arzt unter der Geistlosigkeit der Leute im Dorf leidet, geht er nun regelmäßig in den Krankensaal sechs.
Dann kommen Gerüchte auf, der Arzt sei nicht mehr bei Sinnen. Die Verwaltung legt ihm nahe, die vorzeitige Pension zu wählen. Jefimitsch, der kein Geld hat, nimmt an und nimmt sich ein kleines Zimmer. Eines Tages holt ihn sein Nachfolger zu einem Spaziergang ab. Sie gehen in den Krankensaal sechs, und es ist eine Einweisung, gegen die sich Andrej Jefimitsch, pessimistisch und verbittert wie viele russische Bücherhelden, nicht einmal wehrt. Dort stirbt er dann bald. Das Ende: »Am nächsten Tage wurde Andrej Jefimitsch beerdigt. Seinem Sarge folgte niemand außer Michail Awerjanitsch und Darjuschka.«
Krankenhaus in SüdungarnDas rief mir eine Geschichte des italienischen Satirikers und Romanciers Dino Buzzati (1906-1972) ins Bewusstsein, sette piani (sieben Stockwerke), die er 1953 schrieb. Giuseppe Corte begibt sich wegen hartnäckigen Fiebers in ein Krankenhaus, das weiß ist und sieben Stockwerke umfasst. Die leichtesten Fälle sind oben, die Sterbenden im ersten Stock. Corte lebt sich im siebten Stock ein.
Nach zehn Tagen wird er gebeten, Platz für eine Familie zu machen und in den sechsten umzuziehen; vorübergehend, heißt es. Eine Entscheidung der Verwaltung bestimmt, dass die Hälfte der Patienten von Stock sechs nach fünf zu verlegen seien; Corte tobt, muss aber folgen. Leider stellt sich an seinem Bein ein Ekzem ein. Das Röntgengerät steht im vierten Stock …
Dann geht es rapide weiter abwärts. Ein Arzt überzeugt ihn davon, im dritten gebe es größere Experten, und, dort angekommen, erfährt der Patient, dass das Personal demnächst geschlossen in Urlaub gehe: hinunter in den zweiten Stock, von wo er per Dekret des Professors bald in den ersten verlegt wird. Der Professor ist verreist, und gegen sein Dekret hilft nichts. Giuseppe Corte ist verzweifelt. Plötzlich wird es dunkel um halb vier Uhr nachmittags. Die Rolläden schließen sich selbsttätig …