Austerlitz

Dominique Larrey begleitete auch Napoleons Truppen bei der Schlacht von Austerlitz am 5., Dezember 1805. Dabei starben 16.000 Soldaten. Austerlitz, das habe ich gelernt, ist eine Kleinstadt zwischen Olmütz und Brünn in Mähren. Austerlitz ist mein Stichwort.

Eigentlich weiß ich nicht, was das soll; es ist eine Übung: zu einem Wort Assoziationen versammeln und sehen, was sich daraus ergibt. Open end. Der Roman Austerlitz ist einer meiner zehn wichtigsten Romane in deutscher Sprache. Er erschien noch vor dem Tod seines Autors, W. G. Sebald (1944-2001), als großes Vermächtnis. Darum fotografierte ich auch den unten zu sehenden Bus in Mulhouse. Paris hat eine Metrostation namens Austerlitz (und auch Brücken, Straßén, Gassen, Cafés, wie Sebald sagte),  denn es war ein großer Sieg Napoleons über Russland und Österreich.

Als ich dieses schrieb, stieß ich auf ein Spiegel-Interview mit Sebald vom 12. März 2001, in dem er bekundet: »Dieser Name war sogar ein wesentlicher Impuls, das Buch zu schreiben.« Er habe gehört, dass der amerikanische Tänzer Fred Astaire eigentlich Austerlitz geheißen habe. Auch Kafka erwähne einen Mann dieses Namens in seinen Tagebüchern. Sebald schrieb über die Erinnerungsarbeit: Ein 60-jähriger Mann, Austerlitz, erzählt von seiner Kindheit: verschickt mit einem Kindertransport nach England, Erinnerungen an ein Konzentrationslager in Tschechien, in dem seine Mutter umkam; sein Vater blieb verschwunden.

Es geht natürlich um die Zeit des Nationalsozialismus, und als ich Der Tod in Rom von Wolfgang Koeppen las, 1954 erschienen, trat wieder ein Austerlitz auf. Er ist ein Waffenverkäufer mit blauer Brille in Rom, den Gottlieb Judejahn trifft, der frühere Nazi-Herrscher von Rom, der nun für einen nordafrikanischen Staat einkauft.

Über seinen Geschäftspartner heißt es: »Er nannte sich Austerlitz, und vielleicht hieß er wirklich Austerlitz, aber man konnte sich kaum denken, dass er überhaupt einen echten Namen hatte … Austerlitz war korrekt und vertrauenswürdig und seine Beziehungen zu allen Regierungen und allen Umstürzlern in aller Welt waren wie sein Kredit sagenhaft.«

Er ist der schwarze Schatten von Sebalds Austerlitz, wie Austerlitz, das für Franzosen einen so guten Klang hat, für Russen und Österreich ein Menetekel war. Überall gibt es eine dunkle Seite, eine Gegenwelt.

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