Allein gelassen
Gestern abend um 22 Uhr lief im Westdeutschen Fernsehen die Reportage Palast der Gestrandeten von Chiara Sambuchi. Es ging um ein Ministeriumsgebäude in Rom, das von mehr als 1000 Afrikanern und Asiaten bewohnt wird, die aus Süditalien kamen. Unglaubliche Verhältnisse.
Frau Sambuchi durfte als erste drinnen filmen. Die Alteingesessenen – Migranten, die seit fünf oder zehn Jahren in dem besetzten Haus wohnen – kommen unter Druck, weil immer mehr Neuankömmlinge vor der Tür stehen, jeden Tag. Zu zehnt schlafen manche in einem Zimmer. 30 Toiletten für 1000 Menschen. Die mangelnde Hygiene führt zum Ausbruch von Krankheiten.
In dem Film schaute die Ärztin Donatella d’Angelo von der Organisation Cittadini del Mondo mit ihrem Team regelmäßíg vorbei, um Arme zu behandeln. Doch wer krank ist, will nicht ins Krankenhaus, da er von dort zur Polizei geschickt wird, Fingerabdrücke abgeben muss und fortan ein registrierter Flüchtling ist. Die meist jungen Leute aus Somalia oder dem Sudan wollen das nicht, denn Italien zahlt keine Beihilfen; man hat ein Leben auf der Straße vor sich. Man kann es ihnen nicht verdenken, dass sie untertauchen und ein anderes Land erreichen wollen, in dem es ein wenig Sozialhilfe gibt. Hinter den Alpen ist es besser.
»Alleine kriegen wir das nicht mehr hin«, sagte ein langjähriger Bewohner, denn immer mehr Leute kommen. Bis Ende dieses Monats werden 120.000 Menschen in Italien eingereist sein. »Wer hilft diesen Menschen?« Natürlich keiner. Die paar mutigen Helfer von karitativen Organisationen schauen vorbei. Die Stadt Rom ist abgetaucht. Die Polizei traut sich nicht hin, und dass ein Abgeordneter der Stadt oder ein Sozialarbeiter vorbeischauen würde, davon kann man gerne träumen. Dann heißt es im Text der Reportage noch: »Wie lange muss Italien alleine mit diesen Flüchtlingsströmen zurechtkommen?«
Wütend macht das einen schon. Vermutlich muss erst einmal eine schlimme Epidemie ausbrechen oder es muss ein paar Tote geben, bis sich in Rom etwas regt. Was tut diese Stadtverwaltung eigentlich, außer dicke Gehälter einzustreichen? Das ist das italienische Leiden: der menefreghismo. Das ist das Mir-scheißegal-Gefühl. Chi se ne frega? Wen interessiert’s? Heute Pizza, morgen Pasta, Fußball und Fernsehen und der Rest kann bleiben, wo der Pfeffer wächst. Toleranz ist ja eine gute Eigenschaft, aber sie ist bequem und nicht immer von Gleichgültigkeit zu unterscheiden.
Das alte Schulhaus von Tod am TiberDie Leute in Rom müssen selbst zurechtkommen. Die alte Realschule, in der mein Romanheld ganz alleine lebt, ist ein paar Jahre nach meinem Abschied aus der Ewigen Stadt auch besetzt worden, von jüngeren Menschen. Auch sie werden ihren Strom abgezapft haben und ihr Dasein selbst organisieren. Wenigstens ein Dach über dem Kopf – und vor der Tür den Radweg Tiber-Süd.