Bahnstation Treblinka
In dem Band Begleitumstände von Uwe Johnson war der Teil eines Verhörs aus dem Internationalen Militär-Tribunals Nürnberg abgedruckt . Es geht um Treblinka, das kein Mensch lebend verließ, dessen Bahnhof aber mit fiktiven Schildern den Eindruck vermittelte, er sei ein echter Bahnhof: operettenhaft dies, eine Verhöhnung der Todgeweihten und des Todes.
FRAGE. Ich bitte Sie, dem Gerichtshof dieses Lager zu beschreiben.
ANTWORT. Jeden Tag kamen dort Transporte an, 3, 4, 5 Züge, die ausschliesslich mit Juden aus der Tschechoslowakei, Deutschland, Griechenland und Polen angefüllt waren. Sofort nach ihrer Ankunft mussten alle Leute innerhalb von 5 Minuten den Zug verlassen und auf dem Bahnsteig Aufstellung nehmen. Sie wurden aus den Zügen gejagt und in Gruppen eingeteilt, Frauen und Kinder zusammen und die Männer abgesondert. Alle mussten sich sofort ausziehen. Dieses Auskleiden geschah unter den Peitschenhieben der deutschen Wache. Die Arbeiter, die dort beschäftigt waren, nahmen sofort die Kleider weg, um sie in die Baracken zu tragen. Die Menschen mussten durch die Strassen bis zur Gaskammer nackt gehen.
FRAGE. Ich möchte Sie fragen, wie dieser Weg zur Gaskammer von den Deutschen genannt wurde?
ANTWORT. Dieses Strasse hiess Himmelfahrtstrasse …
FRAGE. … Sagen Sie bitte, wie lange lebte ein Mensch, nachdem er in das Treblinka-Lager kam?
ANTWORT. Die gesamte Prozedur des Ausziehens und der Weg zur Gaskammer dauerte für Männer 8 bis 10 und für Frauen etwa 15 Minuten. Für die Frauen hat es 15 Minuten gedauert, weil ihnen, bevor sie in die Gaskammer gingen, das Haar abgeschnitten wurde. […]
FRAGE. Sagen Sie bitte, Herr Zeuge, wie hat später die Bahnstation Treblinka ausgesehen?
ANTWORT. Zu Anfang gab es noch gar keine Schilder auf dem Bahnhof, aber nach einigen Monaten hat der Lagerkommandant, ein gewisser Kurt Franz, eine erstklassige Station mit Schildern bauen lassen, und auch auf den Baracken, wo die Kleider aufbewahrt wurden, waren Aufschriften wie Kasse, Buffet, Lager, Telefon, Telegraph und so weiter angebracht. Es waren auch gedruckte Fahrpläne für die Züge von und nach Grodno, Suwalki, Wien, Berlin vorhanden.
FRAGE. Also verstehe ich Sie richtig, Herr Zeuge, dass die Station Treblinka nur einen Scheinbahnhof darstellte, in dem Fahrpläne und Hinweise auf sogenannte Bahnsteige zur Abfahrt verschiedener Züge nach Städten wie Suwalki und so weiter vorhanden waren. Ist das richtig?
ANTWORT. Beim Verlassen des Zuges hatten die Leute wirklich den Eindruck, sich auf einer normalen Station zu befinden, von wo aus Züge nach anderen Städten wie Suwalki, Wien, Grodno und so fort weiterfuhren. [… ]
FRAGE. Sagen Sie, Herr Zeuge, wieviele Menschen wurden täglich ins Lager Treblinka gebracht?
ANTWORT. Von Juli bis Dezember 1942 hat man im Durchschnitt täglich drei Transporte von je 60 Wagen nach Treblinka gebracht. Im Jahre 1943 kamen die Transporte seltener an.
FRAGE. Sagen Sie, wieviele Menschen wurden durchschnittlich in Treblinka täglich vernichtet?
ANTWORT. Ich glaube, dass durchschnittlich in Treblinka 10 bis 12000 Menschen täglich umgebracht wurden.
FRAGE. In wievielen Gaskammern wurden die Tötungen vorgenommen?
ANTWORT. Zu Anfang gab es nur drei Gaskammern, aber später wurden noch zehn gebaut. Es bestand der Plan, die Zahl der Gaskammern bis auf 25 zu erhöhen.
FRAGE. Woher wissen Sie, dass der Plan bestand, die Zahl der Gaskammern auf 25 zu erhöhen?
ANTWORT. Weil alles Baumaterial bereits auf dem Platze lag. Ich fragte wozu, da es keine Juden mehr gäbe. Darauf sagte man mir: »Nach euch kommen andere, und es wird noch viel Arbeit geben.«
(Begleitumstände, suhrkamp 1980, S. 44-47)