Ritter ohne Burg und Adel
Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Ich weiß nun über beides Bescheid. Bei Wikipedia heißt es in dem Eintrag Poser (Adelsgeschlecht), die Familie sei nach dem im Jahr 1200 erwähnten Ort Poseritz auf der Insel Rügen benannt. Ich fuhr also mit dem Zug von Hamburg nach Stralsund und dann mit einem Rad die 15 Kilometer in den Ort, wo mein adeliger Vorfahr lebte.
Er hieß Themo de Poserne und war Ritter unter Herzog Heinrich V. von Schlesien. Wird von 1275 bis 1296 urkundlich erwähnt. Unter seinen Nachkommen entstanden 1440 das Haus Pangau (also »Poser und Pangau«), 1536 die Häuser Rohrau und Groß-Naedlitz, beide im Kreis Breslau. Heute existiert nur noch das Haus Poser und Groß-Naedlitz. Die anderen hatten wohl keine männlichen Nachkommen mehr. Vor vielen Jahren in Hamburg hatte ich einmal ein Blick in den Gotha getan, das Adelslexikon, und da war der Name Poser mit seinen Verzweigungen verzeichnet.
Mein Vater meinte einmal, seine Vorfahren hätten den Adelstitel verkauft. Ob überliefertes Gerücht oder Wahrheit: Tatsache ist, dass ich einer von vielen Posers bin, die nicht adelig sind. Als 1940 die SS meinen Onkel Horst wollte, der gerade 19 Jahre alt war und das Pech hatte, groß gewachsen zu sein, musste meine Großmutter einen Stammbaum erstellen. Sie kam bis ins Jahr 1814 zurück. Damals und seither waren alle männlichen Angehörigen nur Freigärtner oder Angestellte der schlesischen Eisenbahn wie zuletzt mein Großvater Rudolf auch.
Ich fuhr also in Poseritz ein. Es begrüßte mich die Kleingartenanlage Frohe Zukunft, der Gasthof Lindenkrug pries sich mit gemütlich & preiswert an, der Poseritzer Eierhof (nimm ein rügener Ei …) lag zur Linken neben einem Planen-Vermieter, und ansonsten gab es am jenseitigen Ortsausgang noch ein paar neuere Häuser. Einwohnerzahl: vielleicht tausend.
Die Pfarrkirche St. Marien wurde bereits nach 1300 auf Findlingen erbaut und dann nach 1700 spätbarock ausgestaltet. Den Schlüssel zur Kirche musste ich mir im Nachbarhaus holen, bei Familie Prophet. Die Kirche ist in desolatem Zustand. Es fehlt das Geld, sie zu renovieren. Die Wände sind feucht und bemoost. Die Gottesdienste finden woanders statt. Wo der edle Ritter Themo einst lebte, weiß ich nicht, und ich hatte keine Lust, jemanden zu fragen.
In meinem Fall griff dann, 650 Jahre nach Themo, die Politik ein. Ein Teil von Oberschlesien sollte in englische Hand übergehen, und die Bevölkerung wurde gefragt. Rudolf Poser und Martha Unger aus dem Ort Klein-Schnellendorf bei Kattowitz überlegten nicht lange und machten sich 1921 vom Acker, kamen über ein Lager in Wasserburg am Inn an den Bodensee, und ihr Sohn Manfred lernte in Landsberg am Lech eine Frieda kennen, die ein paar erlesene bayerische Vorfahren aus Mittenwald hatte, darunter einen Geigenbauer und einen Katecheten.
Also bin ich sozusagen ein schlesisch-bayerischer Mischling. Wenn in der Schule Gedichte zu interpretieren waren, wählte ich immer die Werke des Schlesiers Andreas Gryphius (1616-1664). Und dann Hamburg und der Norden! Wir tragen unsere Geschichte in uns.