#27 Arbeit
Die produktive Kritische Ausgabe (Zeitschrift für Germanistik & Literatur) in Bonn hat ihr 27. Heft mit dem Titel Arbeit in den Handel gebracht. Es geht »um die offenkundige Diskrepanz zwischen dem Glauben an ein ›gutes Leben‹ durch ›sinnvolle Arbeit‹ im aktuellen Alltagsdiskurs« und natürlich um die Arbeit mit der Sprache: um den Job des Schriftstellers.
Angela Gencarelli und Ute Friederich verantworten das Heft, und es geht etwa um Die Arbeitswelt der Elite (die Arbeitswelt in der Prosa nach 2000), um Houleebecq, Thomas Bernhard, Johann Gottfried Seume, Rainald Goetz und viele andere. 6 Euro kostet der Band (ISSN 617-357), die mit Erwerbsarbeit in einer Stunde verdient sind, aber zu lesen gibt’s sicher für drei Stunden, und das ist der Mehrwert! Sieht interessant und vielversprechend aus, und ich rate zum Erwerb!
Doch hier nun keine Würdigung, sondern die Paraphrase eines Texts daraus, der mir am Herzen liegt. Für An(ge)kommen in Deutschland – Eine Einwanderergeschichte hat Roberto Di Bella ein Interview mit seinem Vater Rosario geführt, der vor 50 Jahren, 1964, aus Sizilien kommend, erstmals deutschen Boden betrat.
Von 1961 bis zum Anwerbestopp 1972 waren 500.000 Spanier und Portugiesen mit Sonderzügen am Gleis Tief in Köln-Deutz angekommen, und ein Portugiese war am 10. September 1964 der einmillionste Arbeiter für das Wirtschaftswunderland. Di Bella schreibt: »Nach der Unterzeichnung des ersten Gastarbeiterabkommens am 20. Dezember 1955 waren am 5. Januar 1956 die ersten Italiener in Deutschland eingetroffen.« (In Sonderzügen; und nur 12 Jahre zuvor waren »Sonderzüge« nach Auschwitz gerollt mit Menschen, die man nicht brauchte, die man vom Erdboden tilgte und die glaubten, sie müssten und dürften arbeiten. Verrückte Welt.)
Rosario Di Bella hatte einen Koffer. »Die Reise war anstrengend. Es gab kaum Sitzplätze. Der Zug war voller Menschen, die mit Paketen und Koffern unterwegs waren. Ganze Familien, die aufbrachen und auswanderten.« In Italien gab es keine Arbeit. Rosario war 24 Jahre alt und Schneider. Er war Junggeselle und suchte das Abenteuer. Was hatte er schon zu verlieren? Er färbte Wolle, die er mit Gummistiefeln treten musste, füllte Ziegel, machte sich dann als Schneider selbstständig.
Aber ohne Frau, das ist kein Leben. Nach langen Verhandlungen kam es zur Heirat mit einer Spanierin. Rosario Di Bella wollte fünf Jahre bleiben, und dann wurden es 50. Wie blickt er zurück? »Mir ist es hier in Deutschland nie schlecht ergangen. Ich hatte immer mit ehrlichen Menschen zu tun … Natürlich, schenken tut dir hier keiner etwas. … Und das bißchen, was wir sparen konnte, wurde zur Seite gelegt, als Sicherheit.«
In Italien dachte man, die Rückkehrer seien alle Millionäre. Manche Italiener kamen im Mercedes auf Besuch, aber das war oft ein Mietwagen. »So sind 50 Jahre vergangen, ein Jahr nach dem anderen. In der Zeit sind meine Eltern gestorben und die Eltern meiner Frau. … Ich glaube, ich kehre noch nicht einmal tot in meine Heimat zurück. … Der Zusammenhalt der Familie war mir immer wichtig, mein Glaube, den ich nie verloren habe, und der Respekt meiner Kinder. Das ist die Reise, die mein Zug gemacht hat. Der Zug, der mich vor fünfzig Jahren von Sizilien bis nach Köln und Gummersbach gebracht hat. Und solange Gott will, bleibe ich noch hier. Der Zug fährt irgendwo los und irgendwann fährt er einmal in die Endstation ein.«
Roberto Di Bella kommentiert: »Das Interview führte ich am 24. Februar 2014 auf Italienisch mit meinem Vater in Gummersbach. …Am 7. Mai dieses Jahres erlag mein Vater im Alter von 75 Jahren einem Krebsleiden und wurde auf dem Kommunalfriedhof von Gummersbach-Derschlag bestattet.«