Die heilige Kuh
Eine andere lehrreiche Geschichte aus dem Hahn-Buch über Krankheit und Heilung, das gestern erwähnt wurde, ist die von der heiligen Kuh und dem verbotenen Schweinefleisch. Der Anthropologe Marvin Harris meint, auf Marx aufbauend, dass die Grundbedürfnisse der Menschen zu ihrer Kultur führen.
Auch religiöse Vorschriften haben ihren weltlichen Sinn; vielleicht weil sie sinnvoll sind für die Gesellschaft, wurden sie erlassen. Zwei Drittel der indischen Kühe sind Ochsen (zumindest war das vor 50 Jahren so), »was an eine Elimination mit unbekannten Mitteln denken lässt«. (Wir denken daran, dass man leider in Indien manchmal weibliche Säuglinge sterben lässt, weil der Mann viel bedeutender ist … und die Gewalt gegen Frauen, auch das.) Ochsen sind kastrierte männliche Rinder, können gut abgerichtet werden und sind gute Zugtiere, sehr wichtig im Ackerbau.
Kuhdung hilft als Dünger, beim Kochen und als Material, um den Boden zu bedecken. Indisches Vieh verbraucht wenig von dem, was auch dem Menschen dient. Die Liebe zu den Kühen helfe dem Menschen, in einem niedrigenergetischen Ökosystem zu überleben, in dem wenig Raum für Verschwendung sei. Der Glaube der Hindus an die Heiligkeit der Kuh erkläre sich aus der indischen Infrastruktur des Ackerbaus, der Technik und der Demografie.
Zu Schwein schreibt Harris: »Die Bibel und der Koran verdammten das Schwein, weil die Schweinezucht die grundlegenden kulturellen und natürlichen Ökosysteme des Nahen Ostens bedrohte.« Die Schweine brauchen Nahrung, die am besten durch einen sesshaften Lebensstil gewonnen werden kann. Sie halten Hitze nicht gut aus und bewerfen sich mit ihrem eigenen Dung, wenn sie schwitzen, was die Krankheitsgefahr erhöht. Der Genuss von Schweinefleisch hätte die Moslems gezwungen, ihr Nomadentum aufzugeben. Wieder: Religiöse Gebote werden ausgegeben und befolgt, weil sie ökologisch richtig sind.
Da kommen Religion, Kultur und Gesundheit zusammen. Frank B. Livingstone schrieb 1958, dass die Malaria erst dann in einigen Ländern Afrikas aufkam, als die Bewohner sesshaft wurden und Ackerbau trieben. Die Jäger und Sammler der Waldregionen hatten fast nie Malaria. Überhaupt, wie Jared Diamond in seinem Buch Guns, Germs, and Steel 1997 schreibt, war der Übergang zum Ackerbau und zur Viehzucht vor 11.000 Jahren – und weg vom Jäger- und Sammler-Dasein – nicht positiv für den Menschen.
Sie waren weniger gesund (sitzende Lebensweise ist immer schlecht), ihr Genpool veschlechterte sich (beim Herumreisen lernt man neue Geschlechtspartner kennen), und der Besitz wurde wichtig; der Zusammenhalt des Dorfes wurde schwächer, weil jeder auf sein persönliches Vorkommen bedacht war. Das gilt ja heute noch, und das einzig »Nomadische«, was uns noch geblieben ist, ist das sinnlose Herumfahren mit schweren motorgetriebenen Fahrzeugen.