Hunderttausend Namenlose

Im Mai vergangenen Jahres schrieb ich aus Italien, im Jahr 2014 seien 25.000 Menschen an den Küsten des Landes eingetroffen. Man hätte also mit 75.000 bis Ende 2014 rechnen müssen – gekommen sind aber 166.000. Von ihnen stellten 70.000 einen Asylantrag, und die restlichen 96.000 sind … untergetaucht.

In einem Bericht über ein Hochhaus in Rom hatte ich es schon erwähnt: Wer mit Namen fixiert ist, muss im Land bleiben. Das sieht die Dublin-Verordnung vor. Die meisten Flüchtlinge wollen aber nach Nordeuropa und entziehen sich den Behörden, denen das wiederum nicht unlieb ist, da sie diese Leute ja nicht im Land haben wollen. Also verlagert sich das Problem, und die Afrikaner werden etwa am Brenner zurückgeschickt.

20 Prozent der Bootsflüchtlinge in Italien stammen aus Syrien, 20 Prozent aus Eritrea. In ihren Ländern herrscht Krieg, um den sich der Westen nie recht gekümmert hat. Es geht nur darum, die Neuankömmlinge fernzuhalten. Besonders schlimm scheint die Lage um Melilla zu sein, einer spanischen Exklave auf marokkanischem Boden. Da leben 80.000 Menschen in Zeltstädten und versuchen, irgendwie den Zaun mit Stacheldraht zu überwinden, den Marokko an der Grenze zu Spanien aufgebaut hat. Und die marokkanische Polizei ist gnadenlos.

Manche Flüchtlinge leben da schon fünf Jahre, und wie La Repubblica am 22. Januar in einer Hintergrundgeschichte meldete, versuchte es einer, Gougou, 66 Mal, und beim 67. Mal kam er drüber. Er ist dann also in Spanien. Was dann? In Deutschland wurden in einem Jahr (von Juni 2013 bis Juni 2015) rund 150.000 Asylanträge gestellt, in Schweden 67.000, in Frankreich 64.000.

In Padua wurden kürzlich 54 Afrikaner festgehalten, um mit Gewalt registriert zu werden, wie ein Rundbrief des italienischen Innenministeriums vom 23. September 2014 befiehlt. Was kann man tun? Man fotografiert die Menschen; aber wenn sie die Ausage verweigern? 42 der 54 Afrikaner in Padua verschwanden dann in der Nacht, und das wird der Polizei auch nicht unlieb gewesen sein. Viel Arbeit für die Polizei; aber das Innneninisterium hat zuwenig Leute und Geld und schließt noch dazu 267 Polizeistationen.

Die hunderttausend Unsichtbaren leben in Italien also irgendwo und irgendwie und bewegen sich in Richtung Grenzen. Eine kleine Völkerwanderung ist das schon.

 

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