Alfonsina Strada

Jetzt denke ich mir, dass es doch wichtig ist, auf einen langen Artikel bei cycling4fans hinzuweisen, in dem Anna Muratore das Leben der Alfonsina Strada schildert, der Frau, die 1924 als erste ihres Geschlechts am Giro d’Italia teilnahm, den man nicht Männer-Giro nennt, weil das klar ist. Sie blieb auch die einzige Frau.

Ich will nun nicht wiederholen, was Anna Muratore so packend beschrieb. Alfonsina Strada (1892-1959) war, als sie am 10. Mai 1924 mit 89 Männern von Mailand in Richtung Genua aufbricht, schon 32 Jahre alt. Welche Gefahren zu bestehen waren, wie Alfonsina sich durchkämpfte, ist lesenswert. Am Ende kamen 30 Fahrer an, und Alfonsina wurde 30. und Letzte … auch wenn zwischendurch der Chef des Rennens einmal ein Auge zudrückte; sie war einmal knapp über dem Zeitlimit geblieben; auch wenn das Rennen für Amateure ausgeschrieben war, weil die Profis fernblieben.

Alfonsina ließ sich weder von Beschimpfungen (»Nutte!«) beeindrucken noch von Nachstellungen. Sie hatte das Glück, in Luigi Strada einen gutwilligen, begeisterungsfähigen Partner gefunden zu haben, der sie unterstützte (aber leider später in einer psychiatrischen Anstalt landete). Eine Art kosmischer Ironie wollte es, dass Alfonsina also den Namen Strada (Straße) trug.

Lange Jahre durfte keine Frau im Begleittross der großen Rennen mitfahren; wer es tat, musste sich verkleiden. Manuela Ronchi, die lange Managerin von Marco Pantani war, hat geschildert, welche Herablassung und Abneigung einer Frau im Profi-Karussell entgegenschlägt. Im Jahr 2004 schrieb der Italiener Paolo Facchinetti das Buch Gli anni ruggenti di Alfonsina Strada, das nur ins Niederländische übersetzt wurde, aber weder ins Französische noch ins Deutsche. Typisch. (Und das wäre ja eigentlich ein Job für mich!)

Eine Frau steht im Radsport ihren Mann und zeigt, dass sie es auch kann. Sehr gut. Doch das Rätsel ist der Sport, das Leiden und Kämpfen, das An-die-Grenze-Gehen, und sogar ich, nicht arbeitender Herumleser und An-der-Sonne-Hocker, fühle mich, wenn’s um Sport geht, bisweilen von diesem verdammten Leistungsgedanken beherrscht. Kann das sein? Wer hat uns das eingebaut? Vielleicht sind wir damit geboren. Wir wollen etwas schaffen und aus unserer Zeit etwas machen. An die Grenze gehen wollen wir, und wenn nicht, wenigstens zusehen, wie andere das tun.

Ach, dieser Männer-Kosmos, der der Leistungssport ist! Fußball! Das Endspiel des DFB-Pokals mit jubelnden Tausenden, jubelnden Sportlern, begeisterten Reportern, aber alles so hohl, bedeutungslos und verlogen! Da jubelt eine saturierte, gelangweilte Zuschauerschaft jungen überbezahlten Kickern zu, die für die Galerie jubeln und der Gesellschaft eine gut domestizierte Ekstase vorspielen, die völlig folgenlos bleibt. Sobald viel Geld im Spiel ist und einer den anderen beobachtet, wird alles künstlich und wirkt wie ein Hohn.

∞ ∞ ∞

Eine Nachricht noch: Die Filmschauspielerin Laura Antonelli ist in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung in Ladispoli gestorben, 74 Jahre alt. Sie war wunderschön und brachte in den 1970er Jahren, wie La Repubblica schrieb, die italienischen Männer zum Träumen. 1976 spielte sie die Hauptrolle in Viscontis letztem Film, Die Unschuld und hatte auch in den 1980er Jahren noch Arbeit. 1991 fanden Polizisten 36 Gramm Kokain in ihrer Villa in Velletri, sie wurde sogar als Dealerin verurteilt, absurd, und hatte auch noch Pech mit Schönheitsoperationen.

Mit der Karriere war es zu Ende; immerhin wurde sie im Jahr 2000 rehabilitiert. Laura Antonelli zog sich nach Ladispoli zurück und hatte »an diesem irdischen Leben kein Interesse mehr«, wie sie schrieb. Sie verschenkte viel Geld, wurde dick und betete viel. Das war ein verrücktes Leben, aber offenbar ein mögliches und und ein Erdenweg einer unsterblichen Seele, die sicher, wie Laura selber hoffte, dort drüben belohnt werden wird.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.