Das Ministerium der Angst
Graham Greene (1904-1991), da bin ich mir meinem englischen Nachbarn David einig, ist ein großer Autor. Seine Romane sind transparent, sind klar geschrieben und haben Tiefgang. Ich wollte nach meinem Besuch in Montreux wieder etwas von ihm lesen und nahm mir The Ministry of Fear vor, einen Spionageroman.
Mit Spionage haben fast alle seine Werke direkt oder indirekt zu tun, und Greene selber hat für den Geheimdienst gearbeitet, wie auch Ian Fleming (1908-1964), der Erfinder des James Bond, und John Le Carré (geboren 1931; wichtiger Roman: Der Spion, der aus der Kälte kam). Diese drei haben das Spiongae-Sujet erst begründet, das im Kalten Krieg in den 1960er Jahren zur Blüte kam.
In The Ministry of Fear (geschrieben 1943) geht Arthur Rowe, der, wie er freimütig zugibt, seine Frau getötet hat, auf einen Rummelplatz. Er gewinnt einen Kuchen, weil ihm das richtige Gewicht zugesteckt wurde; doch dann versuchen andere, ihm den Kuchen wieder abzuluchsen. Verbarg er eine geheime Botschaft? (Man erfährt es nie, es ist eine Art McGuffin im Stile Hitchcocks.)
Es ist die Zeit des Krieges in London, die Deutschen schicken regelmäßig ihre Bomben und verwüsten ganze Stadtteile. Arthur will wissen, was mit dem Kuchen ist, lernt die österreichischen Geschwister Hilfe kennen, schaltet einen Privatdetektiv ein, und in einer Séance passiert ein Mord … Später landet Arthur in einem Sanatorium, das ein dubioser Arzt leitet und in dem die Insassen nicht alle verrückt sind.
Diese Elemente der Story sind später bis zum Überdruss von Autoren verwendet worden, doch Greenes Meisterschaft wurde kaum erreicht. Die Geschichte ist verschlungen, und man weiß in keiner Phase, was als nächstes geschehen wird, und so lässt man sich von der Handlung fesseln und folgt ihr atemlos, Seite um Seite.
In heutigen Romanen setzt sich oft bloß das Wahrscheinliche durch, wo es das Wahre sein müsste: die Wahrheit, die der Geschichte angemessen ist. Um phantasievoll erzählen zu können, muss man wissen, was passieren könnte, aber auch darüber hinausgehen können: Man sollte den Mut haben, auch unwahrscheinliche Wendungen als wahr auszugeben, egal, was die Leser davon halten.
Doch heute haben wir zuviel banale Dialoge (bei Greene bedeutet jeder Satz etwas), zuviel konventionelle Handlung und viel zu oft kümmerliche Schlüsse. Die Fülle des Lebens triumphiert auf der Oberfläche, dahinter ist nichts.
Doch die Fülle der Welt und die Komplexität des Menschen, die der Roman abbilden will, erschöpft sich nicht in dem, was laut Zeitungsberichten so passiert. Da gibt es unsichtbare Dimensionen, die nur angedeutet werden sollten (die letzte Seite bei Greenes Roman öffnet trotz Happy-Ends Abgründe, ein paar Sätze genügen dem Autor hierzu); echte, packende Literatur basiert auf dem Verschleiern und Verschweigen, es ist eine esoterische Kunst, die Graham Greene beherrschte, die aber immer mehr in Vergessenheit gerät.