Der menschliche Faktor

Während der Woche in Norwegen las ich The Human Factor von Graham Greene, einen Roman, der 1978 herauskam. Wie bei Autos und bei Rädern, wie bei allem Menschengemachten meint man auch dem Roman ansehen zu können, aus welcher Epoche er stammt. Es ist irgendwie ein Post-Spionage-Roman.

Leider kann man nicht viel von der Handlung verraten, weil man damit das Buch zerstören würde. Man fühlte sich, als würde man Graham Greene verraten. Um Verrat geht es, man kann eine Pointe verraten, man kann aber auch sein Land verraten oder sich selbst. Viele Verräter sind dennoch moralische Menschen: Sie glauben, mit ihrer Tat dennoch die Welt besser zu machen. Verächtlich sind nur die Verräter um des Geldes willen.

Maurice Castle jedenfalls, 62 Jahre alt, ist mit der viel jüngeren schwarzen Sarah verheiratet, die ein Kind hat, Sam, das nicht von Maurice ist. Er hat sich in Südafrika in sie verliebt, wo sie seine Agentin war, und dann schleuste er sie aus dem Land. Nun leben sie in einem Haus bei London, er radelt jeden Tag zur Bahnstation und fährt zu seinem Job im Geheimdienst. Er arbeitet in einer Afrika-Abteilung.

In ihr gibt es jedoch eine undichte Stelle. Ist es der Vorgesetzte Watson, ist es Davis oder Castle? Die undichte Stelle könne man unschwer mit Gift aus dem Weg räumen, meint einer der Vorgesetzten, der eiskalte Doctor Percival. Das war in früheren Romanen undenkbar. Und die Bürokratie geht ihren langsamen Gang. James Bond wird des öfteren erwähnt, als Gegenentwurf, denn Davis und Castle, seine Kollegen, jagen nicht atemlos durch die Welt und werden sie auch nicht retten.

Sie trinken viel Whisky (J & B) und prüfen Meldungen von Agenten. Sie hoffen auf einen Auslandseinsatz oder die Pensionierung. Durch die Zeilen schimmert die Erkenntnis, dass Spionage und Geheimdienstarbeit sinnlos ist und nie etwas brachte; die Akteure sind und waren stets nur Handlanger und hilflose Hilfspolizisten, denn die wirklichen Entscheidungen fielen woanders und wurden nicht auf der Basis von Geheimdienstinformationen gefällt. Man schert sich nicht um die Details. Der Agent als Held verlor seinen Nimbus. James Bond ist ein Relikt, eine Lachnummer.

Greene selbst sagte in Interviews (aus dem Buch L’autre et son double, 1979; erst hatte ich l’auteur et son double geschrieben, weil der Autor ja auch der andere, l’autre, ist, sein anderes Selbst, wenn er schreibt) zu The Human Factor, die Traurigkeit darin werde gemildert, weil sich die beiden Personen, Maurice und Sarah, wirklich liebten. »Weil sie sich lieben, ist man traurig, weil sie getrennt sind (am Ende des Buches), aber es ist auch eine Erleichterung, zu wissen, dass ihre Liebe existiert.«

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Die Amerikaner sind in den 1990er Jahren im Nahen Osten wohl auch an ihrer Arroganz und ihrem mangelnden Einblick in diese fremden Kulturen gescheitert. Technik und Knowhow allein genügen nicht. Man kann einen fremden Text zwar lesen und seinen Inhalt verstehen, aber wenn man ihn nicht im Zusammenhang sieht und seine Tiefe nicht begreift, hat man nichts begriffen; das ist Verrat am Sinn eines Texts. Gründlich lesen, mehrmals lesen! Ich habe noch einen Satz aus einem Buch im Ohr, wo ein Autor meinte, man hätte den Zweiten Weltkrieg vorhersehen können nur durch das Lesen eines Texts. Man hätte Mein Kampf ernst nehmen sollen.

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