Jona, der Kleinbürger

Bei amerikanischen Kabbalisten las ich, Job und Jona im Alten Testament seien Geschichten von Tod und Wiedergeburt. Sie lesen Geschichten gern im übertragenen Sinn. Job war mir zu lange, aber die Geschichte von Jona dem Ungehorsamen, den der Fisch verschlang, verleibte ich mir ein und kam zu dem Schluss: Jonas lernt nichts; er ist einer wie wir: unbelehrbar, egoistisch und kleinmütig.

Das Buch Jona (oder Jonas) ist eine Lehrerzählung, heißt es in meinem Bibel-Kommentar. Weiter:

Im ganzen Verlauf der Erzählung reiht sich Wunder an Wunder, womit Gott den engstirnigen und widerspenstigen Jona zwingt, dem göttlichen Willen zum universalen Erbarmen zu dienen. Am Ende ist Gott sogar nachsichtig gegenüber seinem eigenartigen Propheten.

IMG_0777Jona, der Sohn Amittais, empfing den Befehl des Herrn, sich nach Ninive aufzumachen, um ihnen ein Strafgericht zu verkünden, denn die Bewohner seien schlecht. Jona denkt nicht daran, dem Befehl zu folgen; er will nach Tarschisch fliehen, weit weg vom Herrn und besteigt ein Schiff. Dann kommt ein Sturm, der Jona nicht berührt: Er schläft. Man weckt ihn. Damals dachte man immer an göttliches Wirken, und da man Jona als Propheten kannte, musste er damit zu tun haben. Sie erfuhren bald, dass er vor Jahwe auf der Flucht war und warfen ihn, zu Gott betend, ins Meer. Der Sturm sollte aufhören!

2022-10-05-0001Ein Fisch verschlang Jona, und drei Tage und Nächte saß er in dessen Bauch und betete.

Da befahl der Herr dem Fisch, Jona ans Land zu speien.

Zum zweiten Mal sagt der Herr dem Jona, er müsse jetzt nach Ninive. Dort rief er also: »Noch vierzig Tage, und Ninive ist zerstört! Tut Buße!« Das taten sie, und dann:

Da reute Gott das Unheil, das er ihnen angedroht hatte, und er führte die Drohung nicht aus.

Das missfiel Jona ganz und gar, und er wurde zornig. Er betete zum Herrn und sagte: Ach Herr, habe ich das nicht schon gesagt, als ich noch daheim war? Eben darum wollte ich ja nach Tarschisch fliehen; denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und reich an Huld, und dass deine Drohungen dich reuen. Darum nimm mir lieber das Leben, Herr!

Jona will sich also rausreden. Statt zuzugeben, dass er faul war und seine Ruhe wollte, argumentiert er, seine Aktion in Ninive wäre ohnehin sinnlos gewesen: Er hätte vor etwas gewarnt, was niemals passieren würde. Anscheinend hätte Jona gern gesehen, dass ein Feuersturm das gierige und lasterhafte Pack von Ninive verschlungen hätte. Da hat Jona hunderttausend Menschen gerettet und freut sich nicht!

Jona ist eben ein rechter Egoist und denkt nur an sich. Da wächst, als er Pause macht, ein Rizinusstrauch über ihm und spendet ihm Schatten. Jona freut sich. Doch am nächsten Tag nagt ein Wurm den Strauch ab, und ein plötzlicher heißer Ostwind macht Jona fast wahnsinnig, dass er sich schon wieder den Tod wünscht. Leiden mag er nicht. Da belehrt ihn der Herr:

Dir ist es leid um den Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Über Nacht war er da, über Nacht ist er eingegangen. Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können — und außerdem so viel Vieh?

So viel Vieh … ironisch wirkt dieser Nachsatz. Jona ist es natürlich nicht leid um den Rizinusstrauch, der ist ihm egal; er genoss nur den Schatten, der ihm half. Alles, was ihm dient, ist gut. Die Leute in Ninive sind ihm auch egal; er will nur angenehm leben, und Bosheit muss bestraft werden. Jona ist ein Kleinbürger wie viele, und das Alte Testament führt ihn vor und legt ihn bloß.

 

 

 

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