Bahman Ghobadi

Bahman Ghobadi ist seit seinem Erfolg mit Zeit der trunkenen Pferde im Jahr 2000 der bekannteste kurdische Filmregisseur. Lang vorher, im Jahr 1982, gab es den Film Yol — der Weg von Yilmaz Güney (1937-1984), an den ich mich noch gut erinnere. Er bekam in Cannes sogar die Goldene Palme. Ich habe mir von Ghobadi unlängst Schildkröten können fliegen angeschaut, einen Film, den er 2004 drehte, als die USA bereits den Irak überfallen hatten.

OIPghobadiAuch das ist schon 20 Jahre her, und sonst kann Youtube wenig Neues über den 1969 geborenen Ghobadi bieten. Aber vor einem Monat ließ er sich kurz interviewen und sagte so prägnant, auf Corona anspielend, die Iraner müssten sich eigentlich impfen lassen — gegen ihre Regierung, die in ihre Häuser und Seelen eindringe wie Bakterien und Viren.

Bahman Ghobadi ist iranischer Kurde, wie Yilmaz Güney ein in der Türkei lebender Kurde war. Kurdistan wurde 1639 zwischen dem Persischen und dem Osmanischen Reich aufgeteilt, 1923 dann in 4 Teile geteilt, die auf dem Staatsgebiet der Türkei, Syriens, Iraks und Irans zu liegen kamen. Als Staat gibt es Kurdistan nicht. 25 Millionen Kurden leben in der Türkei, 8 Millionen in Iran, 6 im Irak und 3 in Syrien.Weltweit soll es 50 Millionen Kurden geben, und 2 von ihnen sind meine Kollegen, darum interessiere ich mich plötzlich für den kurdischen Film.

OIPrefugeesAls der Regisseur 2003 Flüchtlingslager mit elternlosen Kinder sah, beschloss er, dort einen Film zu drehen, der dann Schildkröten können fliegen wurde und ihm auf der damaligen Berlinale den Friedensfilmpreis einbrachte. Wie bei Robert Bresson spielen die Akteure sich selbst, und 2005 erzählte Ghobadi einmal, er habe seine beiden Hauptdarsteller fürs Kino interessieren können, sie machten weiter.

In einer unwirtlichen Berggegend stehen weiße Zelte, und in ihnen leben ein paar hundert kurdische Kinder, die keine Eltern mehr haben. Ein unternehmender Junge (Soran Ebrahim), den alle »Satellite« nennen, weil er sich mit Technik auskennt, dirigiert die Horde mittels Megafon und ist dadurch ausgezeichnet, dass er als einziger ein Fahrrad besitzt. Ein Auge geworfen hat er auf das OIPagrinschweigsame Mädchen Agrin (Avaz Latif). Sein Bruder wird »der armlose Junge« genannt, und Agrins Kind ist blind. Sie war von Soldaten vergewaltigt worden, und wir erleben mit, wie sie dem Impuls nachgeben will, sich das Leben zu nehmen; doch ihr Mutterinstinkt lässt sie weitermachen. Ihr armloser Bruder kann die Zukunft träumen und sieht den Einmarsch der Amerikaner voraus und auch das »Ende von allem«, das der Sturz von Saddam sein könnte …

In einem Gedicht lesen wir:

Türm stehn in Glut, die Kirch ist umgekehret,
das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
die Jungfraun sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun,
ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Das hat Andreas Gryphius geschrieben. Es ist aus Tränen des Vaterlandes, anno 1638.

Saddam Hussein war von 1980 bis 1990 ein Freund des Westens und bekam Gift und Material für gefährliche Waffen geliefert, ohne dass jemand protestiert hätte; die Rüstungsindustrie will Geld verdienen, und ihr Produkte sollen Menschen töten, es ist eine perverse Logik. Als Saddam jahrelang das Volk gequält hatte und 1991 über Kuwait herfiel, wurde er zum Feind der USA und des Westens, die mit Wirtschaftssanktionen reagierten. Diese trafen die Regierung kaum, aber es sollen Millionen Iraker verhungert sein, und eine weitere Million starb vermutlich im zehnjährigen Iran-Irak-Krieg.

Nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 beschloss Präsident Bush am 5. April 2002, Saddam zu entmachten, und am 5. Februar 2003 legte Colin Powell den Vereinten Nationen Beweise für die Massenvernichtungswaffen des Irak vor, die allesamt zusammengebastelt und erlogen waren. Am 20. März 2003 schlugen die US-Amerikaner los und eroberten Bagdad, und schon am 14. April wurde der Krieg als erfolgreich für beendet erklärt. Saddam Hussein wurde am 13. Dezember 2004 gefasst und drei Jahre später gehenkt. Bis zum Jahr 2011 war das Land noch nicht befriedet, und in den Jahren von 2003 bis 2011 sollen 500.000 Iraker gestorben sein. Die USA verloren in diesem Zeitraum 5000 Soldaten.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.