Reinkarnation im Judentum

Im Judentum wurde die Seelenwanderung erstmals im 12. Jahrhundert im Buch Bahir erwähnt, das auch für die Kabbala Bedeutung erlangte. Der hebräische Ausdruck für die Reinkarnation ist Gilgul ha Neshamot oder kurz Gilgul. Daneben gibt es noch Ibbur, eine temporäre Seelenwanderung, und Dybbuk, die Besessenheit durch ein (meist männliches) Wesen.

Daniela Hanin Balilli legte mit Gilgul und Dybbuk 2010 ihre Master-Arbeit an der Universität Wien vor. Auf diesen Aufsatz beruhen die folgenden Ausführungen, und wer es ganz genau wissen will, kann die ganze Arbeit lesen, die mit 78 Seiten nicht zu lang ist.

DSCN0261Nach dem Bahir erwähnt das Buch Galya Raza, zwischen 1543 und 1553 von einem unbekannten Verfasser geschrieben, Gilgul, und Itzchak Luria (der »Ari«) baute das Konzept weiter aus. Die Reinkarnation betrifft im Judentum nur die Männer; Frauen gelangen, wenn sie gefehlt haben, gleich in den Gehinom (oder Gehenna: die Hölle, deren Chefs Samael und seine Frau Lilith sind), wo sie 12 Monate sich läutern müssen. Bei schweren Sünden sind drei neue Inkarnationen möglich. Hat sich die Seele danach nicht gebessert, zerfällt sie zu Staub. Bei leichteren Vergehen sind 1000 Reinkarnationen möglich. (Rechts: etwas makaber. Totenschädel in einem italienischen Friedhof.)

Im Sha’ar haGilgulim heißt es:

Ein kurzes Kapitel zum Thema: weshalb die Seelen wandern. Wisse, daß die Seelen aus mehreren Gründen wandern (werden): Der Erste, wenn man ein Verbrechen begeht, das in der Torah steht und [die Seele] wiederkehrt, um es wieder gut zu machen. Der Zweite, wenn man eine Mitzva ausbessert, die noch gefehlt hatte. Der Dritte, wenn man wiederkommt, um andere zu instruieren und sie zu bessern.

DSCN0773Die Mitzvot (Einzahl Mitzva) sind die jüdischen Gebote. — In der Kabbala werden fünf Seelen erwähnt: Nefesh, Ruach, Neshama, Chaya und Yechida. Der Gläubige soll perfekt werden und die ersten drei Seelen vollenden, um weitergehen zu können. Gilgul ist einerseits eine Bestrafung, aber auch eine g“ttliche Gnade (in der Arbeit steht immer G“tt, anscheinend darf man den Namen nicht ganz ausschreiben).

Im 13. Jahrhundert kam Ibbur dazu. Eine bis drei Seelen können zeitweilig in einen Körper eintreten, um eine gute Tat zu tun und Zutritt zum Paradies zu erlangen. Das gleicht einer Schwangerschaft: Der Mensch trägt eine weitere Seele in sich.

Yebom tritt ein, wenn ein Mann kinderlos stirbt. Dann wird seine Seele als völlig wertlos betrachtet, und er wird sofort wieder reinkarniert. In einem antiken hermetischen Text sagt Hermes zu Asklepius, das Zeugen von Kindern sei eine große Sache und eine fromme Unternehmung, und wer dem nicht nachkomme, werde nach seinem Tod von den Dämonen gequält. (Die Stelle könnte auch von einem jüdischen Bearbeiter eingefügt worden sein.) Jedenfalls vermerkte ein Mönch, der 1220 die Stelle abschreiben musste, am Rand: Blödsinn! (φλυαρíα)

Der Dybbuk gilt ab dem 17. Jahrhundert als böser Geist, der in einen Menschen eintreten kann. Durch einen Exorzismus kann man von ihm befret werden.

Mir ist nicht ganz klar, ob alle sich wieder reinkarnieren und wovon es abhängt, ob eine Seele sich im Gehinom läutern darf. Im Originaltext steht es so:

Was ist nun das entscheidende Kriterium dafür, ob die Seele des Verstorbenen, der zu Lebzeiten gegen Mitzvot verstoßen hatte, direkt in die Hölle fährt, oder den Prozeß der Reinkarnation durchmachen muß? Dies hängt einzig und allein vom Ausmaß der Sünde ab, ist diese zu groß, wird der Seele der sofortige Zutritt ins Gehinom verweigert. So muß sie entweder einen Gilgul durchmachen oder wird zur ewigen Wanderschaft verdammt, verfolgt und gejagt von Racheengeln.
Was geschieht nun, nachdem eine Seele die Gilgulim durchgemacht hat und gebessert wurde, sowie anschließend 12 Monate im Gehinom verbringen mußte? Sie kann als geläutert in der Gegenwart wiedergeboren werden, indem sie bei der Geburt in den Menschen einfährt, was einer
echten, abgeschlossenen Wiedergeburt entspricht.

Immerhin ein Beginn, das zu verstehen. — Zitieren wir noch eine Passage, in der es um den Mann und seine Partnerin geht. Kurios:

DSCN3637Was sind nun die Gründe für die Reinkarnation? Einige Gründe wurden hier schon genannt bzw. werden noch ausführlicher erklärt: weil der Mensch eine Mitzva überschritten hat, er ein Gebot ignoriert hat oder weil er einer anderen Seele helfen muß, sich zu vervollkomnen. Ein weiterer Grund ist, um die seelenverwandte Frau zu finden. Es kann vorkommen, dass man bereits mit seiner Seelenverwandten verheiratet ist, durch eine Sünde aber reinkarnieren muß, diesmal ohne eine Ehe einzugehen. … Dann muss die weibliche Seele, ob sie nun will oder nicht, mitziehen.

Wenn der Mann aus dem vorigen Leben seine Seelenverwandte nicht »mitnehmen« konnte, so kann er sich eine andere Partnerin suchen, die er sich aufgrund seiner Taten »verdient« hatte. Diese Partnerin, obwohl nicht die Seelenverwandte, ist für ihn die bestmöglichste und passendste aller Frauen. Hat er im vorigen Leben gesündigt und reinkarniert, reinkarniert seine Frau mit ihm, auch wenn sie das nicht müsste und auch nicht seine Seelenverwandte ist.

Lassen wir es dabei.

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