D. A. F. Marquis de Sade

Wir sollten den gestrigen Beitrag noch etwas ergänzen. Sado-Maso geht auf die Werke zweier Schriftsteller zurück, deren Namen von einem Arzt benutzt (oder missbraucht) wurden, um Abweichungen im Sexualleben zu kennzeichnen. Die beiden Autoren sind der Marquis de Sade und Leopold von Sacher-Masoch.

SadeRichard Freiherr von Krafft-Ebing (1840-1902) brachte 1886 sein Buch Psychopathia sexualis heraus. Er war damals ein angesehener Gerichtsmediziner und Theoretiker der Psychologie. In diesem Buch definierte er den Sadismus, indem er ihn nach Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade (1740-1815) benannte (links im Bild, jung). Für den Masochismus orientierte er sich an Leopold von Sacher-Masoch (1836-1895), einen Autor aus Galicien, geboren in Lemberg. In dem Buch sprach er zudem das Urteil aus, Homosexualität sei eine »angeborene neuropsychopathische Störung«, für die niemand etwas könne; sie solle straffrei bleiben. Leider hatte dies keine Auswirkung auf die Gesetzgebung: Seit 1871 stand durch den Paragrafen 175 »widernatürliche Unzucht« zwischen Männern unter Strafe; erst 1994, vor 30 Jahren mithin, wurde der Paragraf 175 gestrichen.

255px-Bonaparte-Cousturier01Der Marquis de Sade saß viel im Gefängnis. Das, was er dort in winzigkleiner Schrift in Romanen und Theaterstücken beschrieb, hatte er zuvor selber exerziert, hatte Orgien veranstaltet und auch Frauen gequält. Von 1777 bis 1790 war der Marquis inhaftiert, 1793 wurde er während der Französischen Revolution sogar Richter, dann zum Tod verurteilt, doch das Ende Robespierres rettete ihn. Napoleon Bonaparte ging gegen ihn vor, und von 1803 bis zu seinem Lebensende 1815 saß der Marquis in der Irrenanstalt Charenton ein. (Rechts ein zeitgenössisches Bild: Napoleon wirft den Roman »Juliette« ins Feuer.)

MV5BOGEwNmY5OWMtODhiMS00MWI3LWI1NWItYzNmMjY4MjBhMDA0XkEyXkFqcGdeQXVyMTQxNzMzNDI@._V1_UY1200_CR94,0,630,1200_AL_Die Quälereien und Exzesse werden bei ihm meist philosophisch begründet, als Naturgesetz verkündet. Da sind eine weltkluge Frau und ein gewisssenloser Mann — ein »Libertin«, der sich nicht um Sitte schert —, die sich ausleben wollen. Den letzten Kick gibt ihnen, ein unschuldiges Mädchen in ihren Kreis zu ziehen und zu verderben. Justine ist so ein Mädchen, deren Geschichte de Sade erzählt. Sie wird von reichen Adeligen umgarnt, verführt, gefoltert und letztlich zerstört. Das alles ist reine Literatur und geht über alle Grenzen hinaus. Manchmal kann es auch komisch werden, wenn der Libertin ein kompliziertes »Tableau« vorschlägt, eine bestimmte Anordnung von Körpern und Körperteilen, um höchstmögliche Lust zu erregen. Dann sagt er: »Also, frisch ans Werk, setzen wir das um!« Auch in der perversen Erotik muss beim Marquis eine gewisse Ordnung herrschen. Das Problem bei all dem ist natürlich, dass die Erregung möglichst lange aufrecht erhalten werden muss, denn nach dem Höhepunkt ist »die Luft raus«.

Dem Sadisten geht es nicht um das Eindringen, es ist eher eine Sache der Phantasie. Robert Stoller hat geschrieben (in meinem Beitrag Perversion steht es):

Die Perversion ist ein weiteres Meisterwerk der menschlichen Erfindungsgabe. (…) In der nun verfügbaren sexuellen Erregung weiß man unterschwellig, dass der Sexualwunsch Belohnung und Strafe nach sich zieht. Und so gelangt man im Zustand der Erregung zwischen dem Vorgefühl der Gefahr und der Erwartung, ihr zu entfliehen, zur sexuellen Befriedigung. … Der Perverse selbst kann sich dem Erlebnis nicht voll hingeben. Er behält eine abgespaltene, losgelöste, manipulierende Kontrolle über die Situation.  

gamoraposterEine Domina oder Mistress wie Keiko Kataoka ist im Gewerbe der Prostitution eigentlich auch nur eine Sklavin. Sie wird bezahlt und will die Befehle des Geldgebers befolgen: irgendwie eine schizophrene Situation.

Stollers Buch Perversion trägt den Untertitel Die erotische Form von Hass. Das trifft vielleicht nicht auf den Masochismus zu (vielleicht ist er jedoch eine Form von Selbsthass), aber auf den Sadismus. Perversion habe ihren Ursprung in Feindseligkeit, hielt Robert Stoller fest. Die Folterer in unzähligen Kellern und Haftanstalten in der Vergangenheit wurden von ihr bewegt; einen Mitmenschen zu kontrollieren und ihn dann zu zerstören, gab ihnen ein seltenes Machtgefühl, machte womöglich ihre Selbstverachtung wett, denn auch sie waren Sklaven eines ebenfalls perversen gewalttätigen Regimes. — Und Macht und Besitztrieb spielen in den Beziehungen der Geschlechter immer eine Rolle.

Da wir einen Körper haben, spüren wir erotische Erregung. Sexualität ist die Umwandlung von Lebenskraft in Liebe. Bei jedem sexuellen Akt ist ein wenig Liebe mit im Spiel, und bei jeder Liebe auch ein wenig Erotik. Auch die Nonne, die sich Jesus Christus widmet, mag ein wenig davon bewegt werden, und die Missbrauchs-Skandale in den Kirchen zeigen, dass wir uns unseren »niederen Trieben« nur schwer entziehen können. Erotik und Erregung sind Fakten, wir müssen damit klarkommen.

 

 

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