Wurde bestattet

Ich bekam von meiner Nichte Franziska, die meinen Hang zum Morbiden kennt, das Buch Ich mach mich vom Acker: allerneueste ungewöhnliche Todesanzeigen. Es ist Teil drei einer Serie, die großen Erfolg hatte. Ich habe es auf der Bahnfahrt gelesen und Tränen gelacht. Da gibt es Verbindungen zum Buch mit den Letzten Worten . ..

Jörg Magenau fängt sein Nachwort zum Buch Letzte Worte mit dem Zitat aus Inspektor Derrick an: »Harry, hol schon mal den Wagen.« Man wisse nicht, ob es nicht erfunden sei, meint er, und das war wohl der Aufhänger (denn bei Letzten Worten kann man auch nicht sicher sein), aber das Buch liegt mir nicht vor. Bei Nöllke/Sprang, den Herausgebern der Todesanzeigen, heißt Kapitel 17 »Harry, hol schon mal den Wagen«. So ein Satz bleibt also. Goethe und Schiller im Jenseits werden sich die Augen reiben.  

In Kapitel 17 steht das Zitat als Stilmittel im Vordergrund, und tatsächlich haben die Hinterbliebenen einer 90-Jährigen das Derrick-Zitat über die Anzeige gesetzt, natürlich ohne Komma (»Harry hol schon mal den Wagen« / Oberinspektor Stephan Derrick 1974-98). Es gibt auch klügere Zitate. Man will gar nicht viel zitieren. Natürlich sind die Hassanzeigen interessant, wo jemand trotz des Spruchs Über die Toten nur Gutes einem Verstorbenen Böses hinterherwirft oder andere an seinem Tod beschuldigt. 

Unbekannt. Verstorben am … Friedhof Les Saintes-Maries-de-la-Mer

Über einer Anzeige steht: OP gelungen – Patient tot. Manchmal werden ja Ärzte angegriffen. »Kälter geht es nicht«, kommentieren die Herausgeber die Anzeige mit dem Text Max A … wurde bestattet. Ohne Angabe, ohne irgendwas. Andere schrieben über den Namen der Verblichenen: »Eine Anzeige sollte sie uns wert sein« In stiller Trauer nehmen wir Abschied von …  

Die Leute trauten sich mehr als früher, seien einfallsreicher, und die Zeitungen ließen mehr zu als früher, lautet das Fazit der Herausgeber. Früher hätte so ein Buch nicht erscheinen können, denn früher war die Todesanzeige noch die letzte Bastion der Privatheit und der Pietät. Nun sprudelt es auch da: wie in allen Medien.

Die Leute vergessen sich und legen sich keine Zügel mehr an. Sogar die Todesanzeige wird dem Mitteilungsdrang untergeordnet. Auch hier geht es nun zuweilen platt und ordinär zu wie im Fernsehen. Viel unfreiwillige Komik. Leute entblößen sich und merken es nicht. Halten sich auch noch für tatkräftig. Man würgt dem anderen noch eins rein und begleicht Rechnungen. Feuer frei! Andererseits ist es eine Auswahl: Best of Todesanzeigen. Gibt vielleicht ein falsches Bild. Wir sollen ja bloß unterhalten werden.

Stil und Fingerspitzengefühl kommen vor, aber selten. Manche Anzeigen jedoch ist richtig gelungen und löst Rührung aus: Da hat es jemand geschafft, einen Ausdruck für sein plötzliches Verlassensein zu finden.   

 

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