Leben heute

Der schwedische Arzt Axel Munthe (1857-1949) hatte mit Das Buch von San Michele 1929 einen Welterfolg. In einem Vorwort 1937 gestand er, eigentlich seien ihm Tiere lieber als Menschen, und wenn Tiere den Tod nicht überlebten, wolle er auch kein Jenseits haben. »Es wird dunkle Nacht sein, ohne Sterne und ohne Hoffnung auf ein Morgenrot, aber ich bin schon im Dunkel gewesen. Es wird einsam sein, aber es kann nicht viel einsamer sein als im Leben.«

Das ist ein harter, aber auch wahrer Satz. Viele leben heute isoliert (oder so in der Zeit zwischen zwei Partnern). In den Massenmedien und Romanen wird gerne der Mythos des Menschen verbreitet, der irgendwo da draußen auf uns warte, und dann werde alles gut werden. Da bauen sich ungeheure Erwartungen auf: Mach mich glücklich! Aber wie ihn finden, diesen Menschen? Man hat ja keine Zeit, und stressig ist es auch. Jahre könnten ins Land gehen und zahlreiche Partner dahin, bis er oder sie es ist. Besser wissenschaftlich vorgehen.  

Illustration: Rolf Hannes

Derzeit blühen die Agenturen, die im Internet Partnervermittlung betreiben. Parship.de. Da wird dann Partnerschaft über ein Raster und einen Algorithmus, definiert als »eindeutige Handlungsvorschrift zur Lösung eines Problems«. Wie soll er/sie sein? Na klar, gutaussehend, erfolgreich, nicht allzu arm, von anziehendem Wesen. In der FAZ stand zu lesen (im Interview eines Partnervermittlungs-Agenten, glaube ich), dass Menschen heute sich gerne mit ihnen ähnlichen Wesen paaren, also nicht »unter Niveau« wie früher öfter: Chef/Sekretärin, Arzt/Krankenschwester. Wozu Horaz vor 2000 Jahren meinte: »Nicht sei die Liebe zur Magd dir Anlass zur Scham, Xanthias aus Phokis!« 

Die Geschlechter müssen sich irgendwie finden. Alle Völker hatten Einrichtungen dafür: Feste, den kollektiven Spaziergang am Abend, Tanz. Oder von den Eltern angestiftete Ehen und Zwangsverheiratungen. Es mussten jedenfalls Männer und Frauen von anderen Dörfern her, um für Durchmischung zu sorgen, und überhaupt musste es die Möglichkeit zu Begegnungen geben.  

Da sitzt also jemand am Bildschirm und chattet, schüttet sein Herz aus, man gewöhnt sich langsam aneinander, körperlos, bis man dann aus der Deckung geht und sich leibhaftig trifft. Wenn ich’s so bedenke, ist es nicht furchtbar. Mann und Frau oder Mann und Mann oder Frau und Frau müssen nur zusammenkommen, darum geht es. Der Rest ist die übliche Arbeit.

Ein Kommentar zu “Leben heute”

  1. Regina

    Lieber Manfred,

    …sie hatten einander gefunden und mehr wollten sie nicht:

    „Indess die Gefährten Wissenschaft trieben, erprobten die Beiden die Zärtlichkeit und verbrachten damit, einander zu lieben, anstatt mit Grammatik die kostbare Zeit.
    Die Gefährten buchstabierten und schrieben sie lernten die Augensprache zu zweit.
    Jene zählten bis auf hundert mal sieben; sie hatte Liebe vom Zählen befreit“….

    Viele Grüße Regina