Die Reise ins Paradies

Robert Musil (1880-1942) war ein Mathematiker der Sprache, aber auch ein heimlicher Mystiker, wovor Mathematiker nicht gefeit sind. In seinem Werk Der Mann ohne Eigenschaften zeigt ein früher Entwurf zu dem Kapitel Die Reise ins Paradies, wie sinnlich Sprache sein kann. Ulrich und Agathe sind unterwegs.

»Unten lag ein schmaler Küstenstreifen mit etwas Sand. Boote, heraufgezogen, von oben gesehen wie blaue und grüne Siegellackflecken. Wenn man näher zusah, Ölfässer, Netze, Männer mit hochgestreiften Hosen und braunen Beinen; Fisch- und Knoblauchgeruch; geflickte, wackelige Häuschen. So fern und klein war diese Betriebsamkeit am warmen Sand wie ein Käferleben. Zu beiden Seiten wurde sie von Felsen eingerahmt wie von Steinblöcken, an denen die Bucht hing, und weiterhin stürzte, so weit das Auge sah, bloß die Steilküste mit krausen Einzelheiten in die südliche See; wenn man vorsichtig hinabkletterte, konnte man über abgestürzte Felstrümmer ein Stück ins Meer hinausgehn, das zwischen den Steinen Wannen und Tröge mit einem warmen Bad und unheimlichen tierischen Genossen füllte.«

 

»Als ob sich ein ungeheurer Lärm von Ulrich und Agathe gehoben und weggeflogen wäre, war diese Landschaft. Schwankende weiße Flammen, von der heißen Luft fast aufgesogen und verwischt, standen sie draußen in der See. Irgendwo war es in Istrien oder am Ostsaum von Italien oder am Tyrrhenischen Meer. Sie wussten es selbst kaum. Sie waren in Züge gestiegen und gefahren; es schien ihnen, dass sie kreuz und quer gereist seien, so … dass sie den Weg gar nicht mehr zurückfinden könnten.«

 

»Die Erinnerung an Ancona hob sich heraus. Man hätte erwarten können, dass sie ein Verbrechen bedeute und einen großen Schicksalstag; aber das tat sie nicht. Seekrankheit. Sie waren todmüde gekommen und mussten schlafen. Sie trafen am frühen Vormittag ein und verlangten Betten. Aßen Zabaglione im Bett und tranken starken Kaffee, dessen Schwere durch den Schaum gesprudelten Gelbeis wie in die Himmel gehoben war. Ruhten, träumten. Wenn sie eingeschlafen waren, schien ihnen jedes Mal, dass die weißen Gardinen vor den Fenstern in einem bezaubernden Strömen erquickender Luft sich hoben und senkten; das waren ihre Atemzüge. Wenn sie wachten, sahen sie zwischen den sich öffnenden Spalten erzblaues Meer, und die roten und gelben Segel der aus dem Hafen oder einfahrenden Barken waren schrill wie dahinschwebende Pfiffe.

Sie verstanden nichts in dieser neuen Welt, und alles war wie Worte eines Gedichts.«

Ein Kommentar zu “Die Reise ins Paradies”

  1. Regina

    Wie schön – „als ob sich ein ungeheurer Lärm von Ulrich und Agathe gehoben und weggeflogen wäre“ Wiedermal Hölderlin´s „guter Rat: Hast du Verstand und ein Herz, so zeige nur eines von beiden. Beides verdammen sie dir, zeigst du beides zugleich“! Und sie verstanden nichts… Viele Grüße, Regina