San Antonio, Texas

Uwe Johnson (1934-1983), ein von mir sehr geschätzter Autor, verbrachte die Jahre 1966 und 1967 weitgehend in New York City, und da siedelte er auch seine vierbändigen Jahrestage an, die er ein Jahr vor seinem Tod fertigstellte.

Die Verlegerin Helen Wolff hatte ihm einen Auftrag besorgt: Er sollte eine Auswahl von Texten deutscher Nachkriegsautoren für ein Schulbuch besorgen. Allerdings gab es Auflagen der Parents/teachers association (p.t.a.s.) in den verschiedenen Bundesstaaten. Am strengsten war die Vereinigung in San Antonio, Texas: klar, der südliche katholische Viehzüchterstaat, sicher vergleichbar mit Bayern. Aber Bayern sind wesentlich toleranter, und da gibt es auch nicht so viele Schusswaffen.

Johnson schreibt in seinem Buch Bestandsaufnahme (1980):

In der Folge wurden die p.t.a.s. von S. A. [San Antonio] zu einer unentbehrlichen Redensart. Sie würden Anstoss nehmen, so hiess es nach den nur mündlich erteilten Richtlinien, an:
Grausamkeiten gegen Tiere
Billigung oder Verherrlichung asozialen Verhaltens
Völlerei
Zärtlichkeiten unter erwachsenen Menschen
Genuss von Alkohol
Genuss von Rauschgiften
jeglichen sexuellen Handlungen
unamerikanischen Betätigungen
Erwähnung von Ehebruch
Unzucht mit Tieren
Billigung und Verherrlichung von Grausamkeiten gegen Menschen
Misshandlungen von Tieren
Etc.
Wer mit einem derart bezinkten Kamm durch die Erzählungen und Gedichte gehen soll, die seit 1945 in deutscher Sprache geschrieben wurden, er hat wenig Aussichten, seine eigene Auffassung von gegenwärtiger deutscher Literatur vorzustellen, und er riskiert bei seinen Kollegen bedenkliches Kopfwiegen.

Von Ingeborg Bachmann gingen also nur Gedichte; keine der Erzählungen von Alexander Kluge war annehmbar; auch Günter Grass konnte nur als Lyriker vorkommen. Das Packen von Paketen wäre als Job erfreulicher gewesen, äußerte Johnson, der noch eine Klammer einfügte:

(Ein amerikanischer editor und Partner half wachen darüber, dass die späteren (sechzehn- und achtzehnjährigen) Benutzer des Lesebuchs auf keiner seiner Seiten eine von den Handlungen wiederfanden, die sie selber auf dem Campus ihrer Schulen betrieben, oder auf den Rücksitzen der elterlichen Autos. Eines Tages, das Buch war schon im (Licht-!)Satz, kam er recht bleichen Gesichts: wir hatten in einer Erzählung einen Halbsatz übersehen. Darin trinkt ein Jugendlicher einen Martini. Ein ganzes Wasserglas voll! Mit Ach und Krach gelang es noch, eine Entschuldigung in die Produktion zu quetschen: Martini, as it is usually served in Europe, is not the American mixed drink, but a brand of sweet vermouth only.)

(S. 399-401)

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