Die Jahre in Rom
Seit 2004, als ich im September nach fünf Jahren Rom verließ, war ich jedes Jahr einmal in der Ewigen Stadt. Sogar Italiener sagen: »Wenn du einmal in Rom gelebt hast, dann hat die Stadt einen Platz in deinem Herzen.« So geht es mir. Am 3. Oktober 1999 stieg ich in einen Zug und erreichte am Abend den Bahnhof Termini. Vielleicht würde das, dachte ich mir, der Ort meines restlichen Lebens sein.
Es war schon spannend. Ich war am Institut für Grenzgebiete der Psychologie in Freiburg angestellt, aber als Giovanna eine Anstellung als Assistentin an der Universität Perugia bekam und vorschlug, nach Rom zu ziehen, stimmte ich sofort zu. Ich könnte ja als Korrespondent arbeiten.
Onkel und Tante spähten einige Wohnungen aus, und im Januar 1999 fanden wir ein wunderbares Objekt im Viertel Monteverde nuovo ganz oben in einem Haus, eleganter Zuschnitt, mit zwei Terrassen. Perfekt. Ich fand eine Zeitung für Ärzte und eine Touristik-Agentur, für die ich schreiben würde. Das Jahr 2000, das Heilige Jahr stand vor der Tür, und die ganze Stadt lebte auf. Hunderttausend Touristen würden kommen, der Vatikan war ausgebucht, und ich musste erst einmal mein neues Leben begreifen. AS Rom gewann in jenem Jahr sogar die Fußballmeisterschaft, den scudetto. Ich fuhr kreuz und quer durch die Stadt, interviewte für meine Zeitung einen Erzbischof, besuchte eine aufgelassene »Irrenanstalt«, verfasste kleine Beiträge und las täglich zwei Zeitungen, wie ein echter Korrespondent.
Aber Rom ist anstrengend. Unten vor dem Haus war eine große Straße mit Ampel, man ärgerte sich Tag für Tag, und ruf einmal mit schlechtem Italienisch einen Handwerker an, wenn das Licht nicht mehr geht! Dann war wieder Stromausfall oder ein Streik der öffentlichen Verkehrsmittel. Und ab Oktober brachen nachts um drei Uhr Gewitter los, direkt über uns krachte der Donner, und dann mussten wir eingerollte Handtücher an die Fenster legen, um das Eindringen von Wasser zu verhindern.
Die journalistische Arbeit warf nicht viel ab. Ich hätte mich um mehr Kunden kümmern sollen. Also schalteten wir in Freiburg Anzeigen und vermieteten ein Zimmer für Touristen: Bed and Breakfast. Ich stellte morgens Orangensaft, Semmeln, Käse, Wurst und Kaffee hin und gab den netten Leuten den Schlüssel. 55 Euro für ein Doppelzimmer, 35 als Einzelzimmer, ein Spottpreis.
Leider fand Giovanna die Arbeit an der Universität öde und beschloss, nach Deutschland zurückzukehren. Ich wollte bleiben, aber wir einigten uns darauf, dass es fünf Jahre sein würden. Ich lernte eine Gruppe von Radfahrern kennen, den Verein Ruotalibera, mit dem ich meine Freizeit verbrachte. Ansonsten tat ich nicht viel. Ich holte mir in der Leihbücherein nebenan Bücher und las auf der Terrasse japanische und russische Autoren: dolce far niente.
So verwaltete ich alleine die Wohnung, lernte perfekt Italienisch und hatte meinen Tagesablauf. Im Sommer 2004 dämmerte dann das Ende herauf. Man musste die Wohnung verkaufen, und das ging innerhalb von neun Tagen. Ich besuchte noch ein Konzert von Peter Gabriel, dann war die letzte Sitzung beim Notar, die Wohnung war leer, und ich fuhr mit Rad und den Packtaschen hinaus aus der Ewigen Stadt, Anfang Oktober 2004, und das war’s. (Auf der Reise habe ich noch etwas erlebt, was ich im vierten manipogo-Artikel schilderte.) Aber Rom lässt einen nicht los. Nie.