Die heilige Johanna
Johanna von Orléans oder Jeanne d’Arc hat ihren Feiertag heute. Die heilige Giovanna! Am 30. Mai 1431 starb Jeanne auf dem Scheiterhaufen, und fast 500 Jahre danach wurde sie zur Heiligen erklärt. Das heißt wohl, dass man ihre »Stimmen« ernst nahm und sie Gott zuordnete.
Das junge Mädchen schaffte die Wende des Hundertjährigen Kriegs. Die Engländer gaben auf, Karl wurde König, aber dann lieferte er seine Retterin aus und tat nichts für deren Rettung. In Schillers Die Jungfrau von Orleans (1801) stöhnt sie unter den Flammen:
Wie wird mir ― Leichte Wolken heben mich ―
Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.
Hinauf ― hinauf ― Die Erde flieht zurück ―
Kurz ist der Schmerz, und ewig ist die Freude!
Das ist ziemlich kitschig. 120 Jahre später wirkt Die Heilige Johanna von George Bernard Shaw (1856-1950) schon modern. Im Schlafzimmer von König Karl taucht Jeanne auf, aus dem Jenseits, nennt ihn »Charlie« und nimmt zur Kenntnis, dass sie nun heilig ist. Alle, die Jeanne begleiteten, tauchen auf und preisen sie. Doch dann fragt sie:
Soll ich vom Tode auferstehen und als lebendiges Weib zu euch zurückkehren?
Plötzliche Finsternis. Alle sind erschreckt aufgesprungen. Jeanne fragt:
Was? Muss ich wieder brennen? Ist keiner von euch bereit, mich aufzunehmen?
Richtig. Alle schleichen sich hinaus. Die unbequeme Heilige wollen sie nicht mehr lebendig unter sich haben. Zu anstrengend, diese Frau. Und Johanna ruft aus, bevor der Vorhang fällt:
O Gott, der du diese wundervolle Erde geschaffen hast, wie lange wird es dauern, bis sie bereit sein wird, deine Heiligen zu empfangen, wie lange, o Gott, wie lange?
Bertolt Brecht schrieb wenige Jahre nach Shaw (1929) seine Die Heilige Johanna der Schlachthöfe. Er (schreibt Peter Demetz in einem Sammelband der Johanna-Theaterstücke) »radikalisiert die populistische Tradition und schafft eine politische Johanna Dark, die zuletzt begreift, dass nur die revolutionäre Gewalt den Menschen zu retten vermag«; das Stück spielt im Chicago des Fleischhandels und der Mafia-Organisationen. Hier ruft Johanna kurz vor ihrem Tod aus:
Darum, wer unten sagt, dass es einen Gott gibt
Und ist keiner sichtbar
Und kann sein unsichtbar und hülfe ihnen doch
Denn soll man mit dem Kopf auf das Pflaster schlagen
Bis er verreckt ist. (…)
Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht, und
Es helfen nur Menschen, wo Menschen sind.
Dann: Tod und Kanonisierung der heiligen Johanna der Schlachthöfe, alles im Ton Goethes aus dem Faust, über den sich Brecht lustig machen will, und dann klingt es doch gefühlvoll und ernst und sogar kitschig, fast wie bei Schillern.