Die Liebe im Abendland

Ich musste unbedingt über das Buch Die Liebe im Abendland schreiben, das Denis de Rougemont  bereits 1939 veröffentlichte. Es ist aber immer noch gültig und gibt zu denken ― denn Leidenschaft und Affären und die Liebe sind ja immer Thema in der Unterhaltungskultur.

Seltsam war das: Vor dem Aufwachen träumte ich eines Morgens im Juni den Namen Jacques de Rougemont. Ich schaute nach und fand einen Denis de Rougemont, und das große Buch, das er geschrieben hatte, hieß Die Liebe im Abendland. Das sollte ich wohl lesen; mein Unbewusstes (oder ein Geistführer/eine Geistführerin) gab mir den dringenden Hinweis. Ich gehorchte und las das Buch.

Rougemont hat das Buch als 32-Jähriger in ein paar Monaten verfasst. Er sagt im Kürze, dass im bürgerlichen Liebesroman die Leidenschaft verherrlicht wird, was gleichzeitig dem Ehebruch das Wort redet, und dass diese Lust am Sich-Verlieren ein Restbestand eines orientalischen (manichäischen) Glaubens an die Vereinigung der Seele mit Gott verbirgt, aber auch einen Todeswunsch, eine Freude am Leid und am Untergang.

Die höfische Liebe ist im 12. Jahrhundert inmitten einer Revolution der abendländischen Psyche entstanden. Sie ist aus derselben Bewegung hervorgegangen, die das weibliche Prinzip der Shakti, den Kult der Frau der Mutter und der Jungfrau in das Halbdämmern des Bewusstseins und des lyrischen Seelenausdrucks aufsteigen ließ.

Noch einmal: du oder der Tod!

Noch einmal: du oder der Tod!

Die Troubadoure, die die ferne Frau besangen, waren von den Katharern in Südfrankreich beeinflusst, die mit mystischen Übungen in der Nachfolge der orientalischen Sufis Gott suchen wollten. Diese Vereinigungs-Sehnsucht war für die katholische Kirche Häresie und wurde verfolgt. Die orthodoxe Lehre sagte, dass die Vereinigung mit Gott nicht möglich sei, also zu einer unglücklichen Liebe führen müsse. (Übrigens soll die sizilianische Dichterschule, die auch Manfred, Sohn von Friedrich II. förderte, das Sonett erfunden haben.)

Dieser Wunsch nach Leidenschaft und danach, von einem überirdischen Gefühl emporgetragen zu werden, leitet unsere Liebesromane immer noch. In einer ZDF-Verfilmung eines Rosamunde-Pilcher-Romans sieht man es: Zwei Menschen blicken sich lange an – und es ist passiert. Wie viele Menschen wünschen sich nicht eine schicksalhafte Begegnung! Doch dann wirkt sich aus die wesentliche Katastrophe unserer sadistischen Anlagen, diese unterdrückte Lust am Tode, diese Lust, sich an der Grenze zu wissen. Zahlreiche Liebesromane feiern dann den Untergang.

Das gilt auch für den Krieg. Die Nation ersetzte die Frau und Gott. Junge Soldaten gingen freudig in den Tod. Sich aufopfern für eine große Idee! Bis zum 17. Jahrhundert war das Kriegshandwerk noch etwas Spielerisches und Sportliches, verwandt dem Rittertum. Dann setzte die mechanische Vernichtung des fernen Gegners ein, für das es in der Liebe kein Pendant gibt.

Rougemont schreibt: Gleichzeitig ist die Liebe zur Frau teilweise frei geworden. Sie kann endlich unter der Gestalt eines Kultues eingestanden werden, die dem göttlichenArchetypus der Frau dargebracht wird, unter der Voraussetzung, dass diese Göttin-Mutter nicht aufhört, Jungfrau zu sein, dass sie also dem sich auf die Frau als Fleisch erstreckenden Verbot entzogen ist.

Die Frau muss rein sein. Verherrlicht werden die Liebe und die Leidenschaft. Das Resultat dieser Propaganda besteht gleichzeitig darin, uns die Vorstellung eigen zu machen, das Glück sei leicht zu erwerben, wie darin, uns unfähig zu machen, es zu besitzen. Denn alles, was man uns vorschlägt, lässt uns in die Welt des Vergleichs eintreten, wo, solange der Mensch nicht Gott ist, kein Glück sich einstellen kann. … Frei nenne ich einen Menschen, der sich beherrscht … Aber der Mensch der Leidenschaft strebt im Gegenteil danach, beherrscht zu werden, enteignet zu werden, aus sich heraus in die Ekstase geworfen zu werden. … Der moderne Mensch erwartet von der schicksalhaften Liebe irgendeine Offenbarung über sich selbst oder über das Leben im allgemeinen-Die immerwährende Illusion …

Aber Autonomie durch Kontrolle ist auch keine Lösung. Das wissen wir ja.

 

 

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