Seele, heirate deinen Körper!

Michel de Montaigne (1533-1592) hat eine wunderschöne Stelle in seinen Essais, in der es ihm darum geht, Körper und Seele zu vereinen. Das übersetze ich aus dem Italienischen, um in Übung zu bleiben, außerdem: meisterhaft.

»Die Schönheit ist ein großes, schätzenswertes Element in den menschlichen Beziehungen; es ist das wichtigste Mittel, um den einen mit dem anderen zu versöhnen, und kein Mensch kann so barbarisch und finster sein, von deren Süße nicht berührt zu werden. Der Körper hat in unserer Existenz eine eminente Wichtigkeit, nimmt in ihr einen wichtigen Posten ein; daher werden seine Struktur und seine Konstitution mit allem Recht dscn5382hoch eingeschätzt. Jene, die unsere beiden wichtigsten Teile abteilen und einen vom anderen abtrennen wollen, haben Unrecht. Im Gegenteil, man muss sie wieder zusammenkoppeln und sie wieder vereinen. Man muss der Seele befehlen, sich nicht zu isolieren oder sich abseits zu kultivieren, nicht den Körper zu verachten und ihn im Stich zu lassen (was gar nicht richtig möglich wäre oder nur künstlich, mit Heuchelei), sondern ihn eng an sich zu halten, ihn zu umarmen, zu verzärteln, ihm beizustehen, ihn zu kontrollieren, ihm Rat zu erteilen, ihn auf die richtige Bahn zu bringen und zu korrigieren, wenn er vom Weg abweicht, also ihn zu heiraten und ihn zum Ehemann zu nehmen, damit ihrer beider Aktionen nicht unterschiedlich voneinander und konstratierend erscheinen, jedoch vereint und einheitlich. Die Christen haben eine bestimmte Vorstellung von dieser Verbindung: Denn sie wissen, dass die göttliche Gerechtigkeit diese Vereinigung und das Zusammenstehen von Körper und Seele freudig unterstützt in dem Maße, dem Körper als Verdienst den ewigen Lohn zukommen zu lassen; und dass Gott dem Menschen in seiner Gänze zusieht und möchte, dass er vollständig die Strafe oder die Belohnung erhält, je nach Verdienst.«

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Michel de Montaigne war Idealist und Humanist. Seine Ausführungen gehen in die Richtung unserer Komplementärmedizin und der Psychosomatik, die von der Einheit von Geist und Körper sprechen. Wenn er von jenen spricht, die Seele und Körper trennen wollen, wird er gewisse Kräfte in der katholischen Kirche gemeint haben, die das ganze Mittelalter über den Körper als sündig bezeichneten, was so weit ging, dass die Körperpflege anstößig wurde. Diese Kräfte würden gegen Montaignes »Ehestiftung« schärfstens protestiert haben. Die Seele war der Kirche heilig, der Körper wurde verachtet, und Schönheit galt dem dogmatischen Papst nichts. Er wollte die Macht über die Seelen, indem er den Körper geißelte. Der Geist, der eigentlich zur Trinität mit gehört, wurde im Konzil von Trient im 8. Jahrhundert ausgeblendet. Es gab nur noch Seele und Körper, denn einen Geist, der womöglich von Gott kam und jeden Menschen »vergöttlicht« hätte, passte nicht zum Lehrgebäude der Kirche: Der Mensch sollte sich unterwerfen. Montaignes Worte könnten sich heute auch gegen die »Schulmedizin« richten. Sie kennt nur den Körper und leugnet wie die mittelalterliche Kirche einen Geist, von der Seele ganz zu schweigen. Nicht gemeint haben konnte der Autor jedoch mit »jenen« René Descartes, dessen Scheidung in res cogitans (das Denkende) und res extensa (das Ausgedehnte: der Körper) leider, Montaigne widersprechend,  über Jahrhunderte zum geltenden Paradigma wurde (bis heute), denn Descartes wurde erst vier Jahre nach Montaignes Tod geboren.

Ein Kommentar zu “Seele, heirate deinen Körper!”

  1. Regina

    Lieber Mandy! – sehr schön…

    „Es gibt nur einen Tempel in der Welt
    und das ist der menschliche Körper.
    Nichts ist heiliger als seine hohe Gestalt!
    Man berührt den Himmel
    wenn man einen Menschenleib betastet“
    Novalis