In Frankreich leben

Nach meiner Reise drückte mir Anneliese das Buch Ein unbekannter Mensch von Christoph Meckel in die Hand. Perfekt! Auf 105 Seiten schildert der 1935 geborene Illustrator, Grafiker und Lyriker Meckel sein Leben in einem Dorf der Drôme-Region, seinem zweiten Wohnsitz neben Berlin, und seinen Freund, den Bauern Mathieu.

Das traf sich gut, hatte ich doch auf meiner Rückfahrt auf einen Kaffee im Ort Loriol-sur-Drôme Station gemacht. Meckel nennt »sein« 400-Einwohner-Dorf Villededon, es liege im Hinterland des Flusses Drôme, auf 500 Metern Höhe in den Bergen. Vermutlich wollte er den tatsächlichen Namen nicht nennen. Meckel spricht von der Nationalstraße, die durch den Ort führt, und nach Betrachtung der Karte könnte sein Dorf 25 Kilometer westlich von Gap liegen und auf der Höhe von Montélimar.

Pont St. Esprit, Kirche

Pont St. Esprit, Kirche

Das Dorfleben ist wie woanders auch. Meckel schreibt:

Mathieu lebt in diesen Zwängen als freier Mensch. Er macht, was er will und behauptet, das sei privat. Die réputation, eine Hauptsorge dieses Daseins, sppielt für ihn keine Rolle, er befürchtet nichts. Sein natürlicher Stolz lehnt Hochmut und Falschspiel ab. Er ist vorsichtig, klug und gerissen, ein ganzer Bauer, stellt aber keine Fallen und trägt nichts nach. Er verschleiert seine Gschäfte, sein Geld bleibt obskur, er sagt: Das Geld und die Frauen sind privat. (53)

Lyriker schreiben knappe Bücher, weil sie präzise Sätze bauen und mit poetischer Genauigkeit alles umreißen, was sie sagen wollen. Was dasteht, ist komponiert. Eine alte Bäuerin, erzählt Meckel in dem Buch, lieh sich eines seiner auf Französisch erschienenen Bücher aus. Zwei Monate später brachte sie es zurück und meinte: Monsieur Meckel, je comprends que vous êtes un poète. (Ich verstehe, dass Sie ein Dichter sind.)  »Etwas Schöneres habe ich nicht oft erlebt«, schreibt verschämt und beglückt der Dichter.

Es gibt stille alte Dörfer in der Provinz, an ihrer Erscheinung hat sich nichts geändert, so sieht sie der Reisende mit flüchtigem Blick. Ein Hügel mit Kirche, daneben der Friedhof, ein Vorplatz mit Linde und fließendem Brunnen, Malven staubig und hoch vor besonnten Mauern, geschlossene Fensterläden in Wind oder Hitze, und Blumengärten am Weg in das Hinterland. Diese Dörfer sind tot, wie die Bauern verschwunden sind.

Darum also sah ich auf meinen Durchfahrten manchmal keinen Menschen. Dafür kommen die Fremden, weiß Meckel zu berichten (das Buch ist von 1999 und 2014 bei Fischer in der 5. Auflage erschienen). Die Besatzer kommen in schweren Wagen, im Gepolter unangefochtener Arroganz, und bilden fremde Nester im Land.

Dazu möchte man nicht gehören. Im andern Land muss man nicht unbedingt geliebt werden, aber akzeptiert werden will man und dazugehören zum Dorf. Ich dachte an Pont St. Esprit, wenn ich da leben würde. Sie würden mich akzeptieren.

Ich habe ja schon oft Anstoß erregt, weil ich als Wasssermann meinen Stil habe, Freidenker bin und mich nicht in einen Rahmen pressen lasse. Man kann davon ausgehen, dass die, die sich von mir gestört fühlen, Idioten sind. Ich bin so unabhängig, dass ich nirgends dazugehöre; und doch gehöre ich rasch überall dazu. Ich bin ein Appenzeller, als Mitglied unseres Velo-Museums-Klubs, und ich war Römer, zusammen mit den Radlern der Ewigen Stadt, und in Damaskus, Kairo oder Kytot ginge es mir ebenso. Das ist kein Kunststück, wir sind ja alle eine Familie. Wenn wir erst die Grenzen unseres Denkens aufgebrochen haben, gibt es kein Ausland mehr.

Da fällt mir noch ein: Rolf Hannes, Künstler in Freiburg, hat 20 Jahre in einem burgundischen Dorf gelebt und auch ein (charmantes) Buch geschrieben, Ein Haus im Burgund. Ich habe noch ein paar Exemplare und verschicke gern gratis eins.  

 

 

 

 

Ein Kommentar zu “In Frankreich leben”

  1. Regina

    Lieber Mandy! ja, das ist schön, „wenn wir erst die Grenzen unseres Denkens aufgebrochen haben“…. – da erscheint es wieder: entgrenzen uns also ganz! Liebe Grüße Gina