Hugo Koblet

Bei unserer Versammlung in Rehetobel bot mir François das Buch Hugo Koblet, Ikarus auf Rädern von Daniel Sprecher an, leihweise, zum Lesen. Ich zögerte und griff dann zu, und jetzt bin ich sehr froh, dass ich es getan habe. Hugo, der pédaleur de charme, war ein außergewöhnlicher Mensch und ehrte den Radsport.

Da kommt ein Bäckergeselle aus Zürich zum Radsport und mischt, 25-jährig, die Szene auf. Überreich mit Talent gesegnet, groß gewachsen (1,87) und stark, gewann er 1950 den Giro d’Italia und 1951 mit seltener Überlegenheit die Tour de France. 22 Minuten Vorsprung hatte er vor dem Zweiten, die gesamte Elite schlug der schöne Hugo, und der Journalist Sepp Renggli, der dabei war, schrieb verzückt: »Einen besseren, selbstsichereren und eleganteren Radrennfahrer als Hugo Koblet der elften Tou-de-France-Etappe 1951 gab es wohl nie zuvor und nie nachher.«

Da wird Hugo angeschwärmt, von links und von rechts. Der pédaleur de charme!

Da wird Hugo angeschwärmt, von links und von rechts. Der pédaleur de charme! Eine Perle!

Seine 135 Kilometer lange Soloflucht von Brive-la-Gaillard nach Agen beendete Hugo mit über 2 Minuten Vorsprung. Danach wirkte er dennoch frisch, als sei er im Auto gefahren, erzählten Zeugen. Es war ein unglaublicher Husarenritt. Ich habe Hugo Koblet in meinem Radsport furios stiefmütterlich behandelt; er hat mehr Raum verdient. In ihm vereinen sich Glanz und Tragik dieses Sports.

Parallelen drängen sich auf. Man denkt an Fausto Coppi, der wie Koblet den schönen Dingen des Lebens zugetan war und alles mit Stil tat – und der wie Hugo nur 40 Jahre alt wurde. Man denkt an den sensiblen Marco Pantani, dem wie Koblet nur zwei triumphale Jahre vergönnt waren, der wie der Zürcher viel mehr erreichen hätte können – und sich wie Hugo das Leben nahm. Hugo Koblet war eher Italiener als Schweizer, war ein Mensch, den man gernhaben musste, der allen half und niemanden vergaß, der nicht nein sagen konnte.

Das führte auch zu seinem Untergang. Denn die skrupellosen Organisatoren der Tour de Suisse wollten ihn 1952 als Zugpferd; sie ließen ihn, der schwer erkältet war, fitspritzen, wogegen er nicht protestierte. Doch die Dosis war zu hoch und beschädigte sein Herz. Es war danach erweitert, Hugo bekam am Berg immer mehr Probleme, obwohl er immer noch zu den Besten gehörte, weil er diesen unglaublichen Körper besaß. Der Fahrer war danach nie mehr so stark wie 1951. Welche Tragik.

Jahrelang fuhr er vorne mit, und es schwindelt einem, wenn man über das Leben im damaligen Rennzirkus liest. Von Stadt zu Stadt, von Kriterium zu Kriterium, ohne Pause fast. Allmählich verlegte sich Hugo Koblet auf Bahnrennen, die Sixdays, hetzte atemlos herum, und 1957 war sein letztes Jahr. Mit 32 Jahren erklärte er seinen Abschied, ging dann ein halbes Jahr nach Venezuela, war dort erfolglos, betätigte sich dann erfolgreich als Radio-Radsportjournalist (für Radio Beromünster, hier vor kurzem erwähnt, Sepp Renggli war dort der Sportchef), wurde dicker und verlor sein Haar.

Vor allem verlor er sein Geld. Falsche Freunde nützten seine Gutmütigkeit aus (wie es bei Pantani war), da Hugo mit Geld nicht umgehen konnte. Einmal sagte er seinem Sixdays-Partner Arnim von Büren: »Geld interessiert mich nicht. Ich lebe ohnehin nicht lange.« Dauernde Geldsorgen (Koblet hinterließ eine halbe Million Franken Schulden, mag aber im Leben mehrere Millionen verdient haben) führten dazu, dass seine von ihm vergötterte Frau Sonja aushelfen musste. Dann wurde es ernst. Der Gerichtsvollzieher drohte, und Sonja erklärte die Scheidung.

Am 2. November 1964 versucht er noch einmal, Sonja den Schritt auszureden. Vergebens. Dann fährt er mit seinem Alfa Romeo aus der Stadt hinaus, und nach mehreren Anläufen rast er mit hohem Tempo willentlich an einen Baum. Zwei Tage später stirbt er, vor seinem 40. Geburtstag. Die Nation ist betrübt und entsetzt. Niemand, der Hugo Koblet kannte, hat ihn je vergessen können. Er war ein Götterliebling, der jung sterben musste.

 

 

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