Lob des Fahrrads
Lob des Fahrrads von Marcel Augé, erschienen deutsch bei C. H. Beck, ist ein Juwel: Auf 100 Seiten gelingt es dem französischen Anthropologen, den Geist des Fahrrads einzufangen und zu beschwören und dabei sogar Hoffnung zu wecken. »Schwingt euch auf die Räder, um das Leben zu verändern!« rät er zum Schluss. Wie ich es oft tue.
Und der letzte Satz: Das Radfahren ist ein Humanismus. Das Fahrrad sei mythisch, episch und utopisch, schreibt Augé, nachdem er auf seine eigene Geschichte mit ihm zurückgeblickt hat, und da er ein älterer Autor ist, kennt er, was nach dem Zweiten Weltkrieg geschah. Die Anziehungskraft der Tour de France!
»Meine Fahrten auf dem blauen Rad, das mein Großvater mir gegeben hatte, waren unregelmäßiger, aber im Juli fand ich mich jeden Nachmittag gegen vier oder fünf Uhr avor dem Bistro auf dem Kirchplatz ein; an dessen Tür hing eine Schiefertafel, auf die der Wirt die Namen der ersten drei der jeweiligen Tagesetappe und der drei Führenden des Gesamtklassements geschrieben hatte.« Da haben wir plötzlich wieder eine bicyclette bleue! (Die Zeichnung rechts stammt wie andere in dem Bändchen von Philip Waechter, dem 1968 geborenen Sohn des großen F. K. Waechter, unvergessen durch Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein, 1978, Diogenes.)
Die Tour de France sei ein Erinnerungsort par excellence, hält Marcel Augé fest, und dann … kamen nach den Nationalmannschaften die Markenteams, und das besiegtelte letztlich den Triumph der Konsumgesellschaft. Man sei nicht auf den Gedanken gekommen, europäische Teams gegen asiatische, afrikanische und amerikanische antreten zu lassen.
Marcel Augé bringt uns bei, dass man mit dem Fahrrad sich selber erkennt und auch den anderen wieder neu ins Auge fasst. Das Fahrrad könne unvorhergesehene Begegnungen fördern und dem Zufall wieder seinem Recht verhelfen – und es könnte uns die Stadt neu erleben lassen. Der Erfolg der Verleihstationen in Paris und Lyon sei erfreulich; vielleicht müsse man eines Tages sein Auto in einem Silo abstellen und mit dem Rad ins Zentrum fahren, und schön, dass der Autor an Modena, Bologna und Parma (Ferrara hat er vergessen) erinnert, wo das Rad zu einer entspannten bürgerlichen Kultur gehört.
Marcel Augé macht uns Mut und findet auch nette Worte für das E-Bike. Sein Blick ins Jahr 2037 lässt unsere Augen glänzen. »Die Rückkehr zur Utopie wäre gleichbedeutend mit einer Rückkehr zur Realität«, meint Augé. Uns gehört die Zukunft, wir müssen nur ein wenig Geduld haben und an ihr mitbasteln.