Kopper
Mario Kopper ist also nicht mehr dabei im Ludwigshafen-Kommissars-Duo des Tatort. Am Ende durfte Lena (Ulrike Folkerts) zu sentimentaler Musik noch ein paar Minuten alte Fotos anschauen, das war die ganze Trauerarbeit. Schade ist das, auch um die italienische Komponente und das Spielerische dabei.
Ich habe Ludwigshafen vor allem wegen Ulrike Folkerts verfolgt. Andreas Hoppe gehörte aber dazu, als kantiger Typ mit Cowboystiefeln und dem alten Fiat 126. Man vergisst die beiden nicht in ihrer WG bei Rotwein und Pasta. Doch offenbar hielt man die Figur mit dem kernigen Namen nicht mehr für zeitgemäß. Sie schien den Machern wohl gestrig und nicht mehr vermittelbar. Und man giert ja immer nach etwas Neuem, schon zehn Jahre erscheinen den meisten heute eine Ewigkeit. Hoppe beklagte sich, seine Figur sei nicht mehr »gepflegt« worden, es habe immer schwächere Drehbücher gegeben. Im Mai 2015 hatte ich schon befürchtet, Lena solle abgesägt werden (siehe bei Arme Lena).
So kann man einen auch rausmobben: Indem man ihn stiefmütterlich behandelt und ihm miese Texte schreibt. Individualisten haben es heute schwer. Auch im Leben trifft man, scheint mir, immer mehr Menschen ohne Profil an, die alles richtig machen und bloß nicht anecken wollen. Um Karriere zu machen, verzichtet mancher auf seine Persönlichkeit. Ich darf das schreiben, denn ich genieße im Dorf und überall Exotenstatus, werde entweder als »typischer Künstler« oder zumindest als Lebenskünstler bezeichnet. Von mir aus.
Aber alle, die anders sind, erweitern unser Weltbild. Sie sind gelebte Alternativen und zeigen, was möglich ist. Sie werden manchmal als »Originale« oder »Exoten« bezeichnet, sind als »spleenig« und »kauzig« verschrien. Leute, die selber denken und sich nicht in ein Schema presssen lassen, mag man nicht. In England hatte der Exzentriker immer seinen Platz, wurde sogar geachtet, denn auf den Inseln ist man tolerant und hat Humor. Doch heute hat selbst das Anderssein seine Regeln; alle wollen eigentlich anders sein und sich abheben von anderen, doch dann stehen wir doch wieder nur vor einer müden, hilflosen Variation des Immergleichen.
In Filme will man eintauchen und dabei vergessen, dass sie gemacht sind. Das fiel im letzten Tatort mit Kopper schwer. Ein Kommissar mit 20-jähriger Berufserfahrung erschießt in einer Bar einen Killer … und verdrückt sich. Nein, liebe Leute, das konnte man sich nicht vorstellen. Der echte Kopper hätte sich gleich gestellt, hätte sich seiner Verantwortung gestellt.
Dann schaut er auch noch ohnmächtig zu, wie Sandro auf das Brückengeländer steigt. Da muss man reden und schreien, damit das Gespräch nicht abreißt. Der echte Kopper hätte reagiert. Er hätte alles ausgepackt, was er aus dem Italienischen wusste, damit Sandro nicht springen würde.
Vor allem das Ende wirkte zwiespältig und eigenartig. Roland Suso Richter, der Regisseur, hat in 33 Jahren fast jedes Jahr einen Film gedreht und viele Tatort-Folgen. Er kennt sein Handwerk. Man sieht also als Abspann Marios Verlobte und die Kinder am Strand unter der Sonne, gestikulierend und lachend, während Mario selbst in die Sonne schaut, selig lächelnd. Nimmt er die anderen wahr?
»Er kann sie sehen, aber sie können ihn nicht sehen, er hört, wie sie ihn rufen, aber sie hören nicht, wie er sie ruft …« heißt es im Tibetischen Totenbuch, das vom Geist des Sterbenden sagt, er sei »Glanz und Leere in einer Überfülle des Lichts«. Während der ganze Film im üblichen Halbdunkel stattfindet und viele Grautöne aufweist, ist der Mario-Abspann grell und lichtdurchflutet, wozu man sagen könnte: Klar, er ist ja nach Sizilien ausgewandert.
Diese Ikonografie weist eigentlich auf das Jenseits hin: So würde man jemanden darstellen, der hinübergegangen ist ins Licht. Vielleicht war zunächst ja gedacht, Kopper sterben zu lassen, dann hätte diese Bildersequenz Sinn gehabt. Doch in dieser Fernsehwelt gibt es den Tod nicht (nur für die Bösen), er darf sich höchstens als Auswanderung nach Sizilien verkleiden. So behalten wir die Filmfigur Mario Kopper in Erinnerung, wie er am Strand sitzt und lächelt.
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