Männer

In der Lettre international geht es um Trends in der Gesellschaft, aber nicht um Mode oder Wohnen, sondern die wichtigen Trends, gesehen von Autorinnen und Autoren, die scharf hinsehen und natürlich links sind oder linksliberal, jedenfalls so denken, wie aufgeklärte Menschen denken sollten. Auch Belinda Cannone in ihrem Beitrag Zivilisierte Verführung sprach mir aus der Seele. Lesen wir gleich. Sie schreibt über #Metoo und äußert zwischendurch:

Nun bin ich jedoch immer wieder bestürzt über die anhaltende Passivität des weiblichen Verhaltens, so tief verankert, dass man sie kaum noch wahrnimmt, und Frauen wie Männer häuig vorgeben, heutzutage sei alles ziemlich gleichberechtigt (symmetrisch). Das stimmt so nicht. Das Verführungsritual bleibt das Privileg (und der Nachteil) des Mannseins.

Verführung: Stierkampf in Les-Saintes-Maries-de-la-Mer

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Die Verführung, das kriege ich nicht hin. Hab es auch aufgegeben. Ich verstecke mich lieber. Anders ist es mit der Männlichkeit, die vielen wichtig ist. Sie ist mir nicht wichtig. Geist ist mir wichtig, alles wissen und überblicken, aber mich durchsetzen und mir Respekt verschaffen will ich nicht. Pankaj Mishra schreibt in der Lettre über die Krise der Männlichkeit, die nach den Attentaten von New York 2001 eintrat. (Ein Freund meinte einmal, dass es danach mit den dicken SUVs anfing.) In Indien ist die Lage schlimm, von Südamerika weiß man es auch, eigentlich überall schreien und rudern verwirrte Männer herum und beklatschen Thesen von Autoren, die meinen, der Mann von heute müsse mal wieder durchgreifen und Flagge zeigen. Zu den »Helden« gehören Seehofer und Söder, Erdogan in der Türkei und Matteo Salvini in Italien, natürlich auch Donald Trump in den USA. Keiner will mehr ein Weichei sein, und die irren Einzelkiller fühlten sich allesamt ohnmächtig und in ihrer Männlichkeit bedroht und schossen um sich.

Syrakus, die Katakomben

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Bestürzend auch, was Wolf Reiser in Verheddert im Netz (unglücklicher Titel) über Pornografie im Internet schreibt. 25 Prozent der Suchanfragen betreffen Porno, und die Angebote sind anscheinend widerwärtig frauenhassend, pathologisch sadistisch, gefertigt in Serie in Studios in Kalifornien. Da wird einem schlecht. Millionen Jugendliche haben freien Zugang zu diesen Angeboten, und niemand ist anscheinend interessiert, dem einen Riegel vorzuschieben. Nicht nur die Empathie ist auf dem Rückzug, sondern auch die Verantwortung. Niemand will sie übernehmen, sollen sich doch andere exponieren und sich die Hände schmutzig machen, wir stecken den Kopf in den Sand.

Erfreulich dagegen die Erkenntnis von Marco D’Eramo, der in Journalismus die Ansicht vertritt, der Journalist sei ebenfalls einer der Berufe, der der Digitalisierung zum Opfer fallen wird. Recht so. Ich kann diesem Gewerbe nichts mehr abgewinnen. Die Art zu schreiben, der Stil, folgt immer der Mode, die gilt, und Journalisten lernen on the job, so zu schreiben, wie man schreibt, damit es (den Kollegen) gefällt. Da ist alles stimmig und rhetorisch. Da werden Emotionen mit lockerer Schreibe zu Markte getragen, man spürt das Motiv dahinter. Und immer noch — damit kommen wir zum Anfangsgedanken zurück — bestimmen weiße Männer zwischen 50 und 60, was geschrieben und gedacht wird. Im Journalismus, im Management und im Sport (eigentlich überall) haben Frauen wenig zu sagen, und danach sieht die Welt auch aus.

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