Spuk und Geister im Wallis

Der Lehner Karl, der von 1894 bis 1978 lebte und wie sein Vater Posthalter von Zermatt war, hat die Sagen und Legenden seiner Gegend gesammelt und aufgeschrieben, und hui, das ist alles ziemlich erschröcklich und unheimlich, da’s allerorten spukt und die Armen Seelen vorbeiziehen.

1962, als das Buch Zermatter Sagen und Legenden in Visp erschien, schrieb Karl Lehner im Vorwort:

Die Verbindung der Zermatter mit ihren Toten ist noch heute groß. Der Armen Seelen spielen heute in unserem Leben, sage ich, noch immer eine bedeutende Rolle. Wir brauchen uns dessen nicht zu schämen. Was hier nicht erfasst ist, ist die Hilfe der Armen Seelen in geistigen und körperlichen Anliegen, von welchen jedes Kind eine Geschichte weiß.

30211rAlle auf den Gräbern brennenden Kerzen zeugten davon, dass die Lebenden Verbindung zu den Toten suchten. Im (früher) abgeschiedenen Alpental des Wallis erhielt sich eine Art Ahnenkult, wie er uns aus anderen Kulturen vertraut ist. Als ein Bub zusammen mit Andreas Seiler am Matterhorn tödlich verunglückte, sagte ihr ein anglikanischer Geistlicher: Es gibt ein Wiedersehen.

Etliches Paranormale steckt in den Walliser Sagen. Ein Bergführer sieht sich selber und stirbt wenig später; oder einer sieht seinen verstorbenen Vater und muss sterben. In machen Geschichten kündet sich ein Tod an – durch ein grelles Licht Stunden zuvor, durch eine nicht existente Gesellschaft, die in einer Küche lärmt, durch die Schrittte eisenbeschlagener Stiefel im Raum, in dem die Leichensäcke der Gemeinde liegen. Und immer stirbt danach einer, und mancher weiß es vorher und gibt sein Geld weg und richtet sich einen Leichenschmaus aus.

Im Berner Land sind – wie in den Alpenregionen – die Armen Seelen im Volksglauben präsent, und es heißt, auf manchem Gletscher träten sie so massiert auf, dass man über Köpfe laufe.

Im alten Stall zen Stecken hütete das Klari, verspätete sich, es wurde dunkel …

Da hört es von Winkelmatten herunterkommend ein Trommeln und Peifen. Es stund still. Herrgott, die Totenprozession! Das Trommeln kommt von den Ställen an der Schluhmatte. Dann geht es über die Brücke und an ihr vorbei. Jetzt hört es Murmeln, Beten und Schwatzen. Zuerst waren es Leute in weißen Kleidern, dann kamen andere in allen bunten Farben und Gewändern, grad wie sie sonntags in die Kirche gehen, eine lange, lange Prozession. Die ersten waren schon in den Ärmieten verschwunden, und noch immer war das Ende nicht über die Brücke.

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Beim Viehhüten erzählte die Polini ihre Geschichte.

Einnmal an einem Abend vor dem Einschlafen dachte ich mir, wenn ich heute abend etwas höre, lasse ich für die armen Seelen gern eine Messe lesen. Ich möchte doch einmal wissen, ob an denErscheinungen und den Totenprozessionen etwas Wahres dran ist. Dann schlief ich ein.
Auf einmal kam’s vom Furri mit Trommeln, Pfeifen, Beten und Murmeln herunter. An der Spitze des Zuges war diese Musik, und dann zogen sie in einem langen Zug an meinen Fenstern vorbei gegen zum See hinunter. Ich höfte, wie sie die Geheimnisse des Rosenkranzes sprachen. Aber noch besser hörte ich den Marsch, der gespielt wurde. (…) Hattest du Angst? Warum Angst? Auch ich betete meinen Rosenkranz, dann extra die fünf Wunden für die armen Seelen und schlief dann ein. Konntest du denn schlafen, frugen wir sie. D’s Polini lächelte und sagte, warum nicht.    

Zwei Frauen sahen also die Prozession. Frauen kriegen immer mehr mit. Und an The Waste Land von T. S. Eliot denke ich, wo im ersten Kapitel (The Burial of the Dead) erzählt wird:

Under the brown fog of a winter dawn,
A crowd flowed over London Bridge, so many.
I had not thought death had undone so many.
Sighs, short and frequent, were exhaled,
And each man fixed his eyes before his feet
. (…)

Illustrationen: Oben rechts: Ein Schwarzhut-Lama bei einer Opferungsprozession in Sikkim (Alice S. Kandell, 1969);
unten: Begräbnis eines französischen Soldaten in Engelberg (Bain News Service, zwischen 1915 und 1918), beides courtesy of Library of Congress Wash. D. C.

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