Zur göttlichen Liebe

»Santuario Madonna del Divino Amore« heißt ein Heiligtum außerhalb Roms – sogar außerhalb des Autobahnrings – an der Via Prenestina. »Mein« Jesus im Buch Tod am Tiber geht auf Seite 220 zu Fuß dorthin, nach unserem Erlebnis in der Kirche Domine quo Vadis. Darum wollte ich dorthin mit dem Rad pilgern.

Es war ein schöner Tag Ende September. Ich hoppelte die alte Via Appia antica antlang, bis ich am Flughafen vorbeikam, wendete mich nach links, fuhr irrtümlich in Richtung Rom, musste umdrehen und erreichte endlich das Heiligtum auf seinem Hügel. Fünf Stunden Fahrt waren das.

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Den Hauptplatz beherrscht die Kirche, die umgeben ist von Räumen zum Beichten und Beten sowie von Wirtschaftsgebäuden, und Wege führen hinunter zum Versammlungssaal und hinaus durch ein Portal, in dessen Nähe Ex-Votos davon künden, dass Maria wieder einmal Wunder bewirkt hat. Prächtig vor dem blauen Himmel steht sie oben auf ihrer Kirche, die Madonna, bekränzt von einem Heiligenschein und beglänzt von der Sonne.

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Aber unten bei uns war sie anscheinend nicht. Ein paar Leute wanderten herum, ein Priester ließ sich sehen, der Platz blieb leer, der Geist des Ortes unauffindbar. Im Judentum ist die Schechinah weiblich, es ist die Anwesenheit Gottes auf Erden, etwas wie der Heilige Geist. Er (oder sie, die Schechinah)  ist unter den Menschen, wenn sie eines Sinnes sind mit dem schöpferischen Gedanken; er (oder sie) wird ausgestrahlt von den Gläubigen, die irgendwie besessen sind.

Das wirkt dann ansteckend. Was soll man aber von einem Glauben mit matten oder verdrossenen Gläubigen halten, die rastlos umherwandern und nicht wissen, was sie suchen? Auch Touristen in Städten verpassen oft den Geist einer Stätte, weil sie sich nicht kundig machen und in den Sehenswürdigkeiten suchen, was woanders verborgen (und immer schwerer zu finden) ist.

Der Raum mit den zu kaufenden Devotionalien ist auch groß wie ein Saal, und Francesco Totti, der legendäre Stürmer von AS Rom, spendierte der Madonna ein Trikot mit der Nummer 20, und Eddy Merckx, Francesco Moser und Felice Gimondi überließen ihr je ein Siegerfahrrad, die wir in einem früheren Beitrag sehen. Eine alte Nonne verkaufte mürrisch, was man ihr abkaufen wollte.

062Witzig war noch, dass ich auf einem Weg, kaum hatte mich eine Nonne passiert, am Boden eine Gottesanbeterin sah. Das sind Insekten, deren erhobene Fühler wie Arme wirken, die sich nach oben recken, zum Heiligen hin.

Ich besuchte die Kirche; ich wartete auf einen Rosenkranz, der um 14.30 Uhr draußen stattfinden sollte, aber nie stattfand; ich erlebte vor dem Restaurant mit, wie die Gäste einer Hochzeit eintrafen und bestaunte die Damen, die sich für diesen Anlass immer kleiden, als ginge es gleich auf den Laufsteg oder ins Erotik-Center. Als wollten sie dem Bräutigam signalisieren, er habe die Falsche erwählt.

thumbnailCAPBOC85Doch da war er, der Glanz der Schechinah, die Präsenz von etwas Unwägbarem, Brillierenden, Verwirrenden, und mir kam die Sophia in den Sinn (auf griechisch die Weisheit), die in der orientalischen Gnosis auch „Pistis Sophia“ genannt wird. Sie tut (ähnlich wie Eva) einen Fehltritt, will alleine eine Welt erschaffen, die dann zu unserer wird, aber die Große Kraft bestraft sie, sie muss in die Unterwelt, wird in Ketten gelegt und muss sich erst befreien. Bei den ophitischen Gnostikern ist sie die Schwester Jesu und gibt ihm erst das Göttliche mit.

Ohne das Weibliche jedenfalls ist die Schöpfung nicht denkbar, Israel die Braut und Christus der Bräuigam, und der hieros gamos, die heilige Hochzeit, spielt in vielen Schöpfungsmythen eine Rolle. Die Madonna steht dafür ein, sie trägt die göttliche Liebe. Und Träger des Geistes sind immer Menschen, und ihr seid – sagt Jesus – das Salz der Erde und ihr Licht, und wer wird es in der Welt verkörpern, wenn nicht ihr?

 

 

 

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