Vom Verschwinden der DDR (2): Abgehauen

1997 veröffentlichte Manfred Krug sein Buch Abgehauen, das ein großer Erfolg und ein Jahr später auch von Frank Beyer verfilmt wurde. Es gab viel aufzuarbeiten. 1966 war Krug Hauptdarsteller in Beyers Film Spur der Steine, der 1966 bald verboten wurde und legendär wurde. In Teil 2 unserer Serie geht es um Krugs Buch und seine Ausreise.   

Abgehauen ist er nicht, rübergemacht hat er auch nicht, der Manfred Krug, sondern ausgereist ist er mit seiner Familie, nachdem er einen diesbezüglichen Antrag gestellt hatte. Aber Ausgereist, was ist das für ein Titel, werden sich die Verlagsleute gedacht haben. Das törnt ja ab.

1977 war Manfred Krug in der DDR ein erfolgreicher und beliebter Schauspieler und Jazz-Sänger auch. Er kam erst mit 13 Jahren in den Osten und am 8. Februar 1937 in Duisburg zur Welt, ein Ruhrpottkind. Am 17. November 1976 veröffentlichten Intellektuelle der DDR einen Aufruf, in dem sie gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann protestierten. Auch Manfred Krug unterschrieb. Und von da an blieben Aufträge aus, wurde er von Filmen ausgebootet, und seine Konzerte wurden abgesagt. Er saß auf dem Trockenen. Dann hatte er die Schnauze voll und ließ den Behörden einen Ausreiseantrag zukommen.

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Krug besaß in Berlin eine geräumige Villa, piekfein, und in der Garage standen ein Dutzend Oldtimer. Er hatte was zu verlieren und hätte zu Kreuze kriechen können, der Kulturpapst Werner Lamberz bekniete ihn regelrecht, aber Krug blieb standhaft. Er nahm (verbotener Weise) eine Unterredung von elf Autorinnen und Autoren mit drei Funktionären in seinem Haus auf, und das betreffende Protokoll, gefolgt von seinem Tagebuch von 19. April bis 19. Mai 1977 – Abschiedsfest für die Krugs – bildet das Buch Abgehauen, das ein Bestseller wurde.

Manfred Krug wurde auch im Westen, wo er mit 40 Jahren noch einmal neu anfing, ein beliebter Schauspieler. Er spielte einen Fernfahrer, dann den Anwalt Liebling Kreuzberg und den Tatort-Kommissar Stoever in Hamburg. 2006, mit 79 Jahren, ist er in Berlin gestorben. Viele der übrigen Beteiligten leben auch nicht mehr. Werner Lamberz kam 1978 bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen um, schade, er war der Kronprinz gewesen und unter ihm hätte es vielleicht noch einen Aufschwung gegeben. Wolf Biermann indessen ist noch aktiv, vor einigen Jahren sah ich ihn noch in einem Kulturklub an der Hamburger Reeperbahn.

Gut geschrieben hat Krug sein Buch. Er war immer geistreich und ehrlich, und er traute sich was. Nicht immer. Das Treffen mit Lamberz:

Er spricht von der Freiheit im Sozialismus. Ich sage nicht, dass wir alle in einem Riesenknast sitzen.

Freilich ging es da um seine Zukunft. Und Lamberz gab ihm, widerstrebend, grünes Licht. Über sich schrieb Manfred Krug:

Ich meine, dass der Schauspieler Krug und die Person Krug als identisch betrachtet wurden, dass da eine seltene Ausstrahlung von Echtheit und Freiheit war, eine Unbefangenheit, da war eine Person, die sich nicht hat verbiegen lassen, jemand, von dem die Hälfte aller Interviews weggeworfen wurde, und den Rest konnte man immer noch nicht senden, weil zuviel Geradheit und Selbstvertrauen darin zu vernehmen waren.

mauer2Die Parolen auf Plakaten seien nicht ernst genommen worden, meinte Krug, die Leute hätten gesagt Leck mich am Arsch. Am Anfang, 1960, waren die begeisterten Lehrer gewesen, der Sozialismus war das Ideal, ein Land für die Arbeiter und Bauern, doch die Bürger verließen das Land in Scharen, man setzte ihnen die Mauer und die Todesstreifen vor die Nase und jeden unter Druck, der nicht die herrschende Ideologie vertrat, die Lüge griff um sich, das Volk wurde im großen Maßstab bespitzelt, jeder misstraute jedem, und richtig, die DDR war ein Riesenknast. (Links das Graffiti von Dmitri Wrubel, entstanden 1990 und Teil der East Side Gallery in Berlin: Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben! Gezeigt ist der Bruderkuss zwischen Breschnew und Honecker 1979.)

Der Westen und die BRD wurden zum Feindbild, Westsender durfte man nicht sehen, und irgendwie denkt man sich: Der Nazistaat hat dort im Osten in einer linken Variante seine Fortsetzung gefunden, etwas weniger mörderisch und selbstmörderisch, dafür dumpf und kleinbürgerlich, in Diensten nicht des Ariertums und der Weltherrschaft, aber der Arbeiterschaft und der Sowjetunion.

Das Ende kam schnell, nachdem man noch pompös das 40-jährige Staatsjubiläum gefeiert hatte. Die DDR war ein ungeliebter Staat, der endlich den Offenbarungseid leisten musste. Wieder war im 20. Jahrhundert ein Versuch des deutschen Wesens gescheitert, die Sachen anzupacken und mit Härte der Welt eine Ideologie einzupflanzen. Die Deutschen sollten sich auf  das beschränken, was sie auch heute tun und gut können: Autos bauen und dafür zu sorgen, dass alles funktioniert.

 

 

 

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