Im Würgegriff des Automobils

Eine US-amerikanische Studie nennt uns die Städte auf der Welt, die am meisten von Autos zugestaut sind. Nicht nur wird das Leben für Fußgänger zur Hölle, auch die Autofahrer leiden. In Bogotà in Kolumbien stehen sie in einem Jahr im Schnitt 12 Tage im Stau. 12 ganze Tage sitzen sie hilflos in ihren Kisten.

Ich hätte Städte in Südostasien vorn gesehen, vielleicht Mumbai oder Bangkok. Doch die Statistik der Organisation Inrix, die von der italienischen Tageszeitung La Repubblica erwähnt wurde, nennt folgende Rangliste:

Moskau
Istanbul
Bogotà (Kolumbien)
Mexiko-Stadt
San Paolo (Brasilien)
London
Rio de Janeiro
Boston (USA, Ostküste)
St. Petersburg.

staunyRom folgt auf Platz 13. In der Ewigen Stadt verliert jeder Autofahrer 254 Stunden im Stau, das sind mehr als 10 Tage. In Bogotà sind es 272 Stunden. Und welcher Schadstoffausstoß! Was könnte man noch dazu sagen, was nicht schon gesagt wurde? Die Statistik des nächsten Jahres 2020 wird ähnlich aussehen, es wird sich nichts geändert haben, weil der Mensch nicht reformierbar ist und sich in seiner Scheiße wohlfühlt. Leider muss man im Stau immer bereit sein, wenigstens einen Meter weiterzufahren; man kann nicht abschalten, sonst könnte man sagen: Hab dieses Jahr im Stau die Werke von Turgenjew, Lermontow und Puschkin gelesen. Das selbstfahrende Automobil wird uns die Möglichkeit geben, im Stau Tausende von Seiten zu lesen, was man jetzt schon im Zug könnte, wenn die Pendlerzüge nicht auch überfüllt wären. (Illustration rechts: Stau in New York, 1960-er Jahre)

staumünchenZuviel individuelle Mobilität endet im Stillstand. Das Fahrzeug wird zum Stehzeug, das es ohnehin in 90 Prozent seiner Lebensdauer ist. Dieser schwachsinnigen Art der Fortbewegung müsste man endlich die rote Karte zeigen oder wenigstens die gelbe. Und als nächstes sollte man Billigflüge verbieten. Wer das Klima retten will, darf nicht zulassen, dass man für 50 Euro nach Gran Canaria fliegen kann. Es wird einmal weh tun, warum nicht jetzt? Doch die Politik traut sich nichts. So war die Devise »Im Jetzt leben« nicht gemeint. (Illustration links: Stau in München, Anfang der 1960-er Jahre)

Bedauerlich, dass der wohlhabende Mensch unserer Breiten, der schon alles hat, sich nun aufs Reisen konzentriert und das Verkehrsaufkommen noch erhöht. Aber das will man ihm nicht wegnehmen; wer meint, Städtetourismus betreiben zu müssen, möge sich ins Hotel quälen und am nächsten Tag mit Bussen die Sehenswürdigkeiten abklappern und am Abend im Straßencafé sitzen, von Smogschwaden umwölkt.

Das ist die Zivilisation, wie wir sie uns nicht erträumt haben, aber wie sie uns heimgesucht hat, und wir nehmen sie hin wie ein Schicksal. Gegen jede Vernunft (und gegen jedes Wissen) weiterzumachen wie zuvor, das ist das Irrationale in dieser vermeintlich rationalen «Zivilisation«, die gut unterwegs ist, sich selber abzuschaffen.

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