Weltfahrradtag

Der World Bicycle Day ist erst übermorgen, am 19. April, und wegen eines wichtigen Karfreitags-Beitrags muss manipogo eine Vorschau bieten. Seit 1984 feiern LSD-Anhänger diesen Tag, weil Albert Hofmann 1943 bekifft von der Basler Sandoz mit dem Rad die 10 Kilometer nach Hause fuhr, eine legendäre Fahrradfahrt, wie mein Beitrag von 2014 heißt. Früher fuhr man eben mit dem Rad, und viele Denker haben dabei bemerkt, dass man, körperlich bewegt, besser denkt. Dazu fand ich einiges bei Friedrich Kittler. 

Er schrieb in dem kleinen Band Unsterbliche (2004) über die Genies, die ihn bewegten; dabei war er selber ein Genie, wie ihm die Zeit aus Hamburg im Nachruf zum Tod des Gelehrten 2011 bescheinigte. Kittler, der Sachse, studierte zehn Jahre in Freiburg (von 1963 bis 1972), was ihn schon zu einem Freiburger macht. In seinem Band stellt er locker Leben und Werk von zehn anderen Genies vor: Alberti, Fermat, Leibniz, Wiener, Turing, Shannon, Luhmann, C. F. Meyer, Lacan, Foucault. Das umreißt schon gut Kittlers Einsatzgebiet. Wiener, Turing und Shannon sind nun wirklich die Gurus des Computer-Zeitalters.

DSCN2121Alan Turing, der die deutsche Verschlüsselungsmaschine Enigma 1940 entzauberte und gewissermaßen den Zweiten Weltkrieg verkürzen half, fuhr schon als 14-Jähriger (1926) mit dem Rad 60 Meilen, um der Public School Sherborne beizutreten. Mit »wechselnden Freunden« verbrachte er seine Sommerferien auf Radreisen und schlief in in deutschen Jugendherbergen, und wenn es ein Problem am Rad gab, behalf er sich, wenn es ging, mit Bindfäden, schreibt Kittler. Als er der Homosexualität bezichtigt und ihm eine Hormonkur angedroht wurde, nahm sich Turing, das Genie der Computerkunst, das Leben, indem er 1953 in einen mit Blausäure getränkten Apfel biss — woran angeblich das Apple-Logo erinnert.

Claude Shannon arbeitete in den Bell Laboratories in Murray Hill (New York) und sprach aus den USA am Telefon mit Alan Turing, um Präsident Roosevelts Gespräche abhörsicher zu gestalten. Shannon war der Digital-Mann, der die komplexesten Aufgaben von Mini-Geräte lösen lassen konnte. Kittler schrieb:

3b41189rShannon zog es vor, die langen Bürokorridore von Murray Hill auf Einrädern zu befahren, eine kurze Geschichte des Jonglierens zu schreiben und in bester barocker Dichtertradition ein Langgedicht auf Rubiks Zauberwürfel zu verfassen.

Genies sind eben anders. Dass gerade die Leute, die die heutige Techno-Maschinerie entwickeln halfen, Fahrrad fuhren, macht sie menschlich. Das Erfinder-Genie bündelt die Gedanken, die dasind und ihm kommen, und schießt sie anderswohin, wohin ihm die meisten noch nicht folgen können. Oft hatte die Menschheit alle Elemente für einen Fortschritt parat, doch es fehlte der Mensch, der sie kombinierte. Synthese ist das Zauberwort, nicht Analyse. Beim Denken hilft das Fahrrad, meine ich, und Nietzsche sagte einmal: »Trau keinem Gedanken, der im Sitzen entstanden ist.« Zwiespältig, denn die Radfahrer sitzen ja auch … Und die Deutschen sitzen zu viel, wurde uns gerade wieder gesagt, also raus ins Freie mit dem Rad!

Illustration: Foto von 1923, Jongleur auf dem Einrad, Library f Congress, Wash. D. C.

 

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