Chen Cao und die Hure
Kommissar Brunetti löste im Mai schon seinen 28. Fall, das macht eine ansehnliche Kollektion im Bücherregal. Ich lese selten Krimis, aber nun habe ich mir den ersten Fall von Chen Cao angetan, der mittlerweile seinen achten gelöst hat. Das Buch heißt Tod einer roten Heldin. Der Autor ist Qiu Xiaolong, 1953 geboren und Dozent in Washington. Er lebt in St. Louis.
War eine Lektüre für drei Tage in Mannheim und war zu schaffen, 450 Seiten, ich lese schnell. Man muss schnell sein, denn die Autorinnen und Autoren sind es auch. Frau Leon schafft zwei Bücher im Jahr, macht 28 Fälle in 14 Jahren; produktiver (und um einiges besser) war nur der große Georges Simenon. Herr Xiaolong schrieb, angefangen mit der roten Heldin 2000, acht Fälle in 19 Jahren, braucht also zweieinhalb Jahre für ein Werk.
Der Erstling ist meist das beste Buch. Die rote Heldin kann man gut lesen. Chen Cao ist mit seinen 31 Jahren schon Oberinspektor in Schanghai und schlägt sich mit dem Mord an der jungen hübschen »Modellarbeiterin« Guan Hongying herum, einer politisch gefestigten Person im damals noch halbkommunistischen China. Verdächtigt wird Wu Xiaoming, der reiche Sohn eines ehemaligen, nun todkranken Ministers. Die Geschichte spielt im Jahr 1990, als China durch Deng Xiaopings Initiative der freien Marktwirtschaft entgegenging.
Unternehmen schossen aus dem Boden, schreibt Qiu, und hatte man in den 1970-er Jahren Schau in die Zukunft! gesagt, hieß es in den 1990-ern xiang qian kan, Schau aufs Geld! Ausgesprochen wird es genauso, nur anders geschrieben wird es. Da erfasste wohl eine weltweite Bewegung auch China, und der Fall der kommunistischen Regierungen in Osteuropa gehörte dazu, war Symptom, nicht Ursache. Man fragt sich, wann es zur Gegenbewegung kommen wird, zur Rückkehr zum Spirituellen? Oder nie?
Deng regierte faktisch von 1979 bis 1997 das Riesenreich, aber 1990 hatten die alten Kader noch viel zu sagen, und die politischen Pressionen waren enorm, wenn jemand gegen sie vorging. Und so werden Chens Ermittlungen immer wieder torpediert. Schön sind die Erwähnungen chinesischer Lyrik in dem Buch (Chen schreibt selber Gedichte), und überhaupt denken die Leute anders, als wir es kennen, weil sie Asiaten sind. Es ist eine andere Welt mit Garküchen, Märkten, winzigen Wohnungen, busfahrenden und im Park spazierengehenden Kommissaren.
Die Protagonisten mag man bald, und der Autor versteht sein Geschäft. Er konstruiert gut, versteckt seine Hinweise und sorgt für überraschende Wendungen. Auch wie er seinen Kommissar in die Welt des Opfers eindringen lässt, bis es ihm zu einer Obsession wird, kann gefallen. Ein bißchen nervig sind die vielen jungen hübschen Mädels, die auftauchen, da geilt sich der Autor selber ein wenig auf und bedient den Publikumsgeschmack. Seine gute Freundin Wang Feng (geht da was?), die verflossene Ling, die Hure Xie Rong, deren full service er aber nicht wahrnimmt, wogegen er die Unterschriften zu Aktfotos liest: »Eindringen vaginal von hinten.«
Da wird ihm fast schlecht. Ist für das Publikum geschrieben, der Kommissar selbst fungiert als Fast-Heiliger, das muss so sein, er bindet sich nicht, die Helden müssen als Traumbilder verfügbar bleiben. Dass in Krimis so oft Prostituierte auftauchen (auch bei mir, in Tod am Tiber) hat wohl mit männlichen Fantasien zu tun, steckt aber im System: Wer Krimis schreibt, prostituiert sich mehr, als dies Journalisten oder Politiker tun. Er oder sie folgt den Marktgesetzen und muss dies, soll das Werk sich verkaufen. (Mein Titel ist spekuliert natürlich auch auf Leser, männlich; ich bin nicht besser.)
Chen Cao hat in seiner Biografie auch Kriminalromane übersetzt, die besseren von Ruth Rendell und P. D. James, und die Schreiber und Schreiberinnen von Krimis sind ja wegen ihres Hangs zur Literatur eher bedachtsame Leute, widerstrebende Huren also, was in den Kommissaren und Kommissarinnen ihren Niederschlag findet. Man meint, wer schreibt oder sich sonst der Kunst widmet, könne kein schlechter Mensch sein. Stimmt, dumm vielleicht schon, aber schlecht nicht.
Illustrationen:
Jean E. Norwood, 1979: Pavillon in einem Garten; Straßenszene (in Shanghai). Dank an Library of Congress, Wash. D. C.