Hohes Alter

Auch der manipogo-Autor ist der vegetarischen Lebenweise aufgeschlossen, ohne daraus eine Ideologie zu machen. Ist man in Bayern, isst man halt ein paar Mal Leberkäs mit Kartoffelsalat. Bringt einen nicht um, schmeckt sogar gut. Karl Valentin hat in einem Dialog (wie immer ist seine Partnerin Liesl Karlstadt) das Problem auf die Spitze gebracht. Doch da steckt mehr dahinter als der Spott des Fleischfressers über den Gemüsefreund.

Es ist ja leicht, sich über Vegetarianer und Veganer lustig zu machen. Natürlich haben diese Recht. Doch die Selbstgewissheit, mit der vegetarisch Lebende ihren Feldzug führen, kann einem auf die Nerven gehen. Der (alte) Bayer, für den Valentin steht, lebte halt gern gut, und Fleisch gehörte dazu. Heute beobachtet man eine übertriebene Sorge um die Ernährung. Viele möchten gern gesund und lange leben, und dem zuweilen wahnsinnigen Trieb danach, das Richtige zu tun, will man etwas entgegnen. Vernunft ist nicht alles, wo bleibt die Lebensfreude? Es geht nicht nur um fleischlose Kost, sondern darum, wie man zum Leben steht.

VALENTIN: So, so! Sie sind ein Vegetarianer?
B.: Ja! Ich lebe nur vegetarisch.
V.: Essen Sie gar kein Fleisch?
B.: Nein! Nie!
V.: Bier trinken Sie auch keines?
B.: Überhaupt keinen Alkohol.
V.: So? — Was trinken Sie dann?
B.: Limonade, Kräutertee, Quellwasser usw.
V.: Schmeckt Ihnen das?
B.: Ausgezeichnet!
V.: So! — Dann geh’n Sie auch in kein Wirtshaus?
B.: Nie! — Nur in vegetarische Restaurants.
V.: Weißwürste mög’ns auch keine?
B.: Pfui! Das ist ja auch Fleisch!
V.: Aber guat sans!
B.: Geschmackssache!
B.: Kaffee trinken Sie aber schon?
B.: Coffein ist doch Gift.
V.: Aber Tee?
B.: Im Tee ist Teein enthalten — auch Gift.
V.: Sie könnten ja gleich sagen: »Im Brot ist Brotin.«
B.: Im Brot ist auch Gift, da bekommen Sie Blähungen, und Blähungen schaden der Gesundheit.
V.: Ja, ja, aber es heißt doch: »Unser tägliches Brot gib uns heute.«
B.: Das schon — aber mit Maß und Ziel!
V.: Ja, wie ist es dann mit den Frauen? Sind Sie verheiratet?
B.: Nein! — Ich bin Junggeselle! — Oh! Diese Weiber!
V.: So, Sie sind auch Weiberfeind! — Dann müssen Sie aber viel Junggesellensteuer bezahlen?
B.: Lieber das, als das.
V.: Rauchen Sie viel?
B.: Bin Nichtraucher.
V.: Sie wollen also von all den Genüssen des Lebens nichts wissen, weil Sie eine Gefährdung für Ihr Leben fürchten?
B.: Ja.
V.: Da kann ich Ihnen aber ein Beispiel geben von meinem Freund, dem Meitinger Toni, der allerdings erst kurz gestorben ist. 89 Jahre alt ist er geworden; ein lustiger Tropf war er, der sein Leben genossen hat, und recht hat er g’habt! Unzählige Riesenräusch hat er schon hoamtrag’n in seinem Leb’n!
B.: So! 89 Jahre wurde der Mann nur alt? Der hat jedenfalls mit Wein, Weib und Gesang zuviel gesündigt!
V.: Ja, ja, seit seinem 20. Lebensjahr bis zu seinem 89. hat er von den Lebensgenüssen, solange es eben gegangen ist, Gebrauch gemacht. Bis kurz vor seinem Tode hat er noch Virginia geraucht! Und vom Hoamgeh’n war er gar koaner; draht hat er, wia der Lump am Stecka; wie man so sagt. — Und die Weißwürst und Kalbshaxen, die der Mann schon verschlungen hat in seinem Leben! Wieviel Ochsen, Kälber und Säu wird er schon vertilgt hab’n in seinem langen Leben! Und wieviel Fässer Bier wird er schon geleert haben! Und allaweil war er g’sund und lustig!
B.: Ja, ja, aber stellen Sie sich vor, wenn der Mann von Jugend auf statt dem vielen Bier nur reines Quellwasser und Minzentee getrunken hätte und den Weibern fern geblieben wäre, und in seinem Leben nie geraucht hätte, und statt den Weißwürsten und Kalbshaxen nur vegetarisch gelebt hätte, in der Früh Gymnastik getrieben hätte in Licht, Luft und Sonne, dann wäre er statt 89 vielleicht 90 Jahre alt geworden. — Der Mann ist selbst schuld, an seinem frühen Tod!

vegetarier

Text in: Karl Valentin, Dialoge, Sämtliche Werke Band 4, Piper-Verlag München, S. 109/110
Illustration: Ruth Koser-Michaëls

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.